Anthropofiction
Schulter in die gepolsterte Rüc kenlehne. Er glaubte, den Stich der Spritze zu spüren. »Laß uns zurückdenken«, hörte er Sam beginnen, »zurück zu Rapers Anruf und deiner Ahnung, es betreffe Miss Stevenson. Sonderbar, so etwas: zu wissen, bevor man es erfährt. Erinnere dich. Dein Appartment. Plötzlich wußtest du …« Die Stimme summte weiter.
Unter dem Einfluß der neutralisierenden Spritze erlangte Lloyd eine klare Bewußtheit. Er stellte fest, daß ein Tisch zwischen ihm und dem Psychologen aufgetaucht war, der einen Kuchenteller und eine Kaffeemaschine von uraltem Design trug, aus der Sam gerade eine Tasse einschenkte. Er reichte sie Lloyd und deute te auf Zucker und Sahne in einem Silberservice. Die gan ze antike Darbietung erheiterte ihn derart, daß er in offenes Lachen ausbrach.
»Angemessene klinische Reaktion«, meinte Sam. »Hast du je aufgehört, Best, darüber nachzudenken, welches die wirkliche Funktion der sonderbaren sozialen Zeremonien auf den Planeten, die du studierst, ist? Sie alle sind kleinere Sakramente, wirklich. Sie befrei en das Individuum während seiner Teilnahme daran von der Verantwortung, seine Identität aufrechtzuerhalten. Entlastung von starker Anspannung.«
»Eine sehr allgemeine Aussage natürlich.« Mit Appetit griff Lloyd zu dem Kuchen und genoß die Wärme des Kaffees. Er fühlte sich sonderbar leicht. Ein plötzlicher Verdacht tauchte in ihm auf, und er sah den Psychologen scharf an.
»Ich habe soeben aufgehört, daran zu denken, daß du dich nicht allein auf Kaffee verläßt, um eine postanalytische Euphorie bei deinen Patienten zu erzeugen. Tatsächlich, meine Diagnose neigt zu intravenösem Alkohol.«
Sams Augenbrauen wölbten sich in gespielter verletzter Unschuld. »Ein regelrechter Angriff auf meine Berufsethik, nichts weniger. Nimm noch eine Tasse.«
Durch die Zerstreuung der künstlich bewirkten Euphorie und die Konversation hindurch schlich sich eine Ahnung des alten Kummers in Lloyds Bewußtsein. In plötzlichem Schrecken bemerkte er, daß er tatsächlich den Zweck seiner Anwesenheit hier vergessen hatte. Sam bemerkte die Reaktion und nickte.
»Laß uns also darauf kommen. Aber laß deinen Kaffee trotzdem nicht außer acht; die Hälfte jeder Therapie beruht auf der Wahrnehmung, daß das Leben noch et was zu bieten hat, sogar nachdem die Ursünde begangen worden ist. Nicht, daß ich in deinem Fall eine Lösung aufzwingen wollte.« Lloyd sah ihn schief an. »Ja, aufzwingen. Oder, wenn du es vorziehst, vorschlagen, herbeiführen oder auch vorantreiben. Oder welcher Terminus auch immer die glückliche Entdeckung des gelobten Landes, das seinem Analytiker so verdächtig vertraut ist, von Seiten des Patienten beschreibt. Da das Problem ganz einfach und der Patient von glänzenden Geistesgaben und sogar« – Sam ließ offene Ironie in die Worte einfließen – »in Interpretation geschult ist, werde ich eine höchst unprofessionelle Methode wählen, einen Fehlschlag kalkuliere ich dabei durchaus ein. Ich werde dir meine eigene Interpretation sagen, die du mit einem so verwickelten und trügerischen Verfahren zurückweisen kannst, wie du willst. Bedenke aber, daß ich in derartigen Angelegenheiten ganz gut bin. Sonst wäre es schlecht um eure Agenten bestellt, die durch meine Hände gehen.«
Lloyd reagierte auf die in der Äußerung des Psychologen enthaltene Brutalität. »Du hast recht, du bist unprofessionell. Auch etwas rachsüchtig. Vielleicht brauchst du selbst eine kleine Analyse.« Sam grinste. »Ich werde ab und zu deine Couch aufsuchen.« Er schlürfte seinen Kaffee.
»Also gut«, sagte er. »Du bist in Merriel Stevenson verliebt. Bis über beide Ohren.« Er wischte Lloyds Protest beiseite. »Ich kenne deine Einwände. Ich habe mir nur ein bißchen die Zeit mit dir vertrieben. Du erinnerst dich?« Lloyd merkte, daß eine Analyse stattgefunden hatte und beruhigte sich.
»Darauf komme ich später. Inzwischen sieh dir die Fakten an. Dieses eigenartige Gefühl nach Rapers Anruf, das Miss Stevenson mit dem Verstoß gegen die Sicherheit zu tun habe; kannst du das erklären?« Auf Lloyds Schweigen fuhr Sam fort: »Also gut. Ich mei ne, es deutet lediglich auf einen unwiderstehlichen Wunsch hin, das Mädchen wäre darin verwickelt.«
»Du sagst, ich liebte sie, wünschte aber, sie sei schuldig?«
»Sicher. Deine Beziehung zu ihr war abgekühlt. Es scheint jetzt, daß der Grund dafür ihre Interpretation deiner Rolle im Falle der Gefangenen gewesen
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