Anthropofiction
des Planeten gedrängt Die andere Gefahr ist damit verbunden: Mit den wimmelnden Massen wird ein immer strengeres Kontrollsystem notwendig. Allumfassende Organisation und totalitäre Regierung werden unvermeidlich (Bates, 1960: 201-2).
Die Domestikation der Nahrung kann vielleicht für uns so gefährlich sein wie die Erfindung der Kleider für den Neanderthaler. Ganz abgesehen von ansteckenden Krankheiten, die durch ein seßhaftes Leben auf der Basis von Landwirtschaft ermöglicht werden, und der Verunreinigung von Wasser und Luft durch die Ausdünstungen der Städte. Science-Fiction-Autoren symbolisieren die Eigenbedrohung des Menschen häufig, indem sie sich vorstellen, er sei einer höheren Gattung von Lebewesen ausgeliefert, wie zum Beispiel in »Goldfischglas«.
Goldfischglas
Eine Konsequenz der langen Abhängigkeitsperiode und verzögerten Reifung des Menschen, während der ihn die Eltern betreuen, ist, daß er dieselbe Regelmäßigkeit der Fütterung und Schutz vor Räubern erlangt, den er seinen Haus- und Hoftieren gewährt. Auffällige Resultate der Domestikation sind beim Menschen die Haarlosigkeit der Spezies (wie bei den Chihuahua-Hunden) und die bleibende Brust der Frauen. Der Anthropologe fragt:
Wir halten uns zur Unterhaltung gezähmte Tiere; wer hält uns? (Kroeber, 1948:163).
Die Antwort lautet, daß wir sich selbst domestizierende Tiere sind. Für den Science-Fiction-Autor jedoch bietet die Frage die Möglichkeit, zu antworten: Wir sind Haustiere.
In Jules Vernes Vingt Mille Lieues sous les Mers (Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer) fragt sich Professor Aronnax:
Entweder kennen wir alle verschiedenen Lebewesen, die unseren Planeten bewohnen, oder wir kennen sie nicht (In Miller, 1965:11).
Vernes nicht zu klassifizierendes Seeungeheuer erweist sich jedoch als Captain Nemos Unterseeboot. In Robert Heinleins »Goldfischglas« ist die Entdeckung, die das Geheimnis auf dem Meere auflöst, unerträglich: »Die Schöpfung dauerte acht Tage!« Die Menschen werden manchmal von Superwesen als Haustiere aufgegriffen, wie Goldfische.
Goldfische sind ein Produkt experimenteller Züchtung. Die Menschen in Heinleins Geschichte, die gehalten werden, als wären sie Goldfische, sind jedoch durch die Beziehung Wärter/Mensch nicht in ähnlicher Weise modifiziert worden. Die andere Form der Haustierhaltung ist das Einfangen wild lebender Individuen und ihre Zähmung, nicht Züchtung. Aber das trifft auf diesen Fall auch nicht zu: die Menschen in der Geschichte sind aus einer künstlichen Umgebung eingefangen worden, ungeachtet dessen, daß sie sie selbst geschaffen haben, per Mensch kultiviert sich selbst.
Die extraterrestrischen (ET) Menschenarten, die Forscher von der Erde in »Kultur« t einer in dieser Sammlung nicht enthaltenen Story von Jerry Shelton, entdecken, werden als domestiziertes Eigentum einer höheren Intelligenz erkannt. Wie einer der Erdenmenschen mit Schrecken beobachtet, werden die ET-Menschen »wie Kaninchen gezüchtet«. Die ET-Menschen sind kulturbegabt, aber dennoch werden sie von ihren Herren als Impfstoffquelle gezüchtet. Die Forschungsgruppe von der Erde zieht den richtigen Schluß und ist gründlich entsetzt.
Das Wort »Kultur« als Titel ist doppelsinnig: es hat die gebräuchliche anthropologische Bedeutung und die des kontrollierten Wachstums von Mikroorganismen in einer Petrischale. Daher kann man spekulieren, daß intelligentes Leben, das in einer Ecke des Universums entstanden ist, sich experimentell der Aufgabe zuwenden könnte, es in irgendeiner anderen Ecke ins Leben zu rufen. Aber Shelton hat eine symbiotische Beziehung zwischen seinen gezüchteten ETs und ihren Herren arrangiert. Wenn man sich ein kulturelles Tier als Haustier vorstellen soll, muß es als kultigenes, symbiotisches oder Haustier vorgestellt werden. All diese Stadien des Seins erfordern, daß das Ziel der Domestizierung durch die Beziehung zu den Herren modifiziert wird – mit Ausnahme der Haustiere, die man als Individuen aus der Wildnis einfangen kann, aber das muß als Ursprung der ETs ebenfalls ausgeschlossen werden, da sie, wenn sie kulturelle Tiere sind, per definitionem keine wilden Tiere sein können.
Am Anfang
Die Selbstdomestizierung ist auf andere Art auch ein Hinweis darauf, daß die Kultur eine Erweiterung des menschlichen Organismus ist. Kulturelle Erweiterungen schaffen die Umwelt, in der die Menschen leben. Umgekehrt beeinflußt diese vom Menschen
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