Anthropofiction
ich mit Ihnen wach geblieben, als Sie darauf warteten, daß Ihr erster Kükenembryo ausschlüpft. Und ich habe nie etwas gesagt, als Sie anfingen, Fossilien zu neuem Leben zu erwecken. – Sie hätten hören sollen, wie meine Mutter sich aufgeregt hat! Aber das jetzt ist etwas anderes …«
»Es ist überhaupt nichts anderes: Wenn ich einen Abdruck von einer Knochenzelle eines Stegosaurierfossils machen und auf eine Krokodilzygote übertragen kann, was ist das anderes, als wenn ich die Genstruktur einer Schimpansenzygote in die eines Neanderthalers umwandele? Beides, Methode und Ergebnis, sind gleich. Im einenFall wird daraus ein kleiner Stegosaurier, im anderen …«
Miss Kalish gestikulierte ungeduldig. »Darum geht es mir gar nicht, Herr Professor! Es ist doch so, daß ich ganz schön schreckliche Dinger aus Ihren Brutkästen habe schlüpfen sehen, ohne mit der Wimper zu zucken.« Sie schluckte und sah elend aus. »Aber wenn Sie anfangen, mit menschlichen Babys herumzuspielen, oder mit etwas Ähnlichem, und es zeigt sich, daß sie aussehen, wie Dr. Trine sagte, und sie zu watschelnden Bestien heranwachsen – nun, ich will einfach nicht in Ihr altes Laboratorium runtergehen!«
Sie wandte sich ab und brach in Tränen aus. Philo Putnam gluckste mitfühlend. Er ging zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. Es war das erste Mal während der ganzen fünfzehnjährigen Zusammenarbeit, daß sie irgendeinen intimen Kontakt hatten, und es störte sie beide beträchtlich. Miss Kalish machtesich steif und hörte auf zu weinen, Professor Putnam ließ linkisch seinen Arm wieder fallen. Innerlich staunte er, daß er auch zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren seine Sekretärin als weibliches Wesen sah. Er dachte nach. Nun, vielleicht waren es auch nur dreizehn.
»Der … äh … neun Monate alte Fötus, Miss ‚Kalish«, sagte er und räusperte sich geräuschvoll, »ist, furchte ich, nicht gerade der, der Vorurteile beseitigt. Aber ich bin sicher, Sie haben ab und zu konservierte Exemplare gesehen, ohne übermäßig aufgeregt zu sein. Die im Laboratorium sind natürlich lebendig, was Sie aber nicht aus der Ruhe bringen sollte. Praktisch gibt es keine Unterschiede zwischen ihnen und anderen menschlichen Säuglingen. Ich garantiere, daß sie einen Monat nach ihrer Vollendung hinreichend attraktiv sein werden, um das übliche weibliche Gegiggel hervorzurufen.«
Er hob die Hand, um einer drohenden Unterbrechung zuvorzukommen. »Wie sie aussehen werden, wenn sie die Reife erlangen«, fuhr er fort, »das ist einer der Gründe, warum wir dieses Experiment machen. Wir kennen die Knochenstruktur des Neanderthalers und was immer wir daraus ableiten können. Aber wir wissen nicht einmal, ob er zottelig oder haarlos war. Wenn unsere Exemplare richtig Gestalt annehmen, werden sie ungefähr einen Meter fünfzig sein, ein paar Zentimeter mehr oder weniger, mit fliehender Stirn und einem ebensolchen Kinn, langen Armen und leicht gekrümmten Beinen. Das mag in Ihren Ohren nicht sehr hübsch klingen, aber schließlich sind Sie auch keine Neanderthaler-Lady.«
Professor Putnam lächelte seiner Sekretärin hoffnungsvoll zu.
»Nun, Miss Kalish – sind Sie jetzt dazu bereit, ins Laboratorium hinunterzugehen?«
»Ja, sicher. Danke – Herr Professor«, sagte Miss Kalish ernst und ging in Richtung Tür. Mit einer schnellen Bewegung gelang es Professor Putnam, rechtzeitig zur Stelle zu sein, um sie ihr öffnen zu können.
Als sie ankamen, waren nur zwei Menschen im Laboratorium, aber der große Raum schien erstaunlicherweise zum Bersten voll zu sein. Natürlich wurde das nicht durch die Anwesenheit von Oscar Felzen, Professor Putnams Laborassistenten, verursacht. Ein Studentengerücht wußte, daß Felzen tatsächlich nachts im Laboratorium schlief, gebettet auf einen Operationstisch neben dem Skelett des Instituts. Keine Frage, der dünne, schüchterne Felzen war ebenso Bestandteil des Laboratoriums wie die Käfige mit Pterodactylküken und der durchdringende Geruch von Formaldehyd.
Aber der schwergebaute Mann in dem blauen Nadelstreifenanzug auf der anderen Seite, der ruhelos vor der Reihe von Brutkästen einherschritt, gehörte entschieden nicht in ein Laboratorium. Präsident D. Abernathy Grosvenor gehörte dahin, wo er sich in der Tat am wohlsten fühlte – auf eine provisorische Tribüne an einem Ende des Fußballfeldes, wo er einem nervösen Vizepräsidenten reihenweise frisch promovierte Studenten mit Doktorhüten und kindische
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