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Anthropofiction

Anthropofiction

Titel: Anthropofiction Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon E.Stover und Harry Harrison
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bis nichts übrig war als die Überreste der Fundamente. Da können wir hier von Glück sagen; dies ist einer der Orte, wo die marsianische Rasse zugrundeging, und es gab keine Barbaren, die später kamen und zerstörten, was sie hinterlassen hatten.« Er paffte bedächtig an seiner Pfeife. »In diesen Tagen, Martha, werden wir in eines dieser Gebäude einbrechen und feststellen, daß es eines war, in dem die letzten dieses Volkes gestorben sind. Dann werden wir die Geschich te vom Ende dieser Zivilisation kennenlernen.« Und wenn wir ihre Sprache zu lesen verstehen, werden wir die ganze Geschichte erfahren, nicht nur die Todesanzeige. Sie zauderte, den Gedanken in Worte zu fassen. »Irgendwann werden wir es finden, Selim«, sagte sie und sah auf die Uhr. »Ich will vor dem Dinner noch etwas an meinen Verzeichnissen weiterarbeiten.«
    Für einen Moment verhärtete sich das Gesicht des alten Mannes mißbilligend; er setzte an, etwas zu sagen, besann sich eines Besseren und steckte die Pfeife wieder in den Mund. Das kurze Verziehen seines Mundes und das Zucken seines weißen Schnurrbarts hatten jedoch genügt; sie wußte, was er dachte. Sie verschwendete Zeit und Energie, glaubte er; Zeit und Energie, die nicht ihr, sondern der Expedition gehör ten. Sie erkannte, daß er auch recht haben konnte. Aber er mußte unrecht haben, es mußte einen Weg geben, es zu schaffen. Sie wandte sich stumm von ihm ab und ging zu ihrer eigenen Sitzkiste an der Mitte des Tisches.
    Fotos und Fotokopien restaurierter Buchseiten und Abschriften von Inschriften waren vor ihr aufgetürmt, und die Notizbücher, in denen sie ihre Listen zusammenstellte. Sie setzte sich, zündete eine neue Zigarette an und langte hinüber zu einem Stapel noch nicht gesichteten Materials, von dem sie das oberste Blatt abhob. Es war eine Fotokopie von etwas, das wie die Titelseite mit Inhaltsverzeichnis irgendeiner Zeitschrift aussah. Sie erinnerte sich daran; sie hatte sie selbst vor zwei Tagen in einem Schrank in dem Keller des Gebäudes gefunden, dessen Erforschung sie gerade beendet hatte.
    Sie saß einen Moment da und sah das Blatt an. Es war lesbar, wenn man davon ausging, daß sie ein rein willkürliches, aber folgerichtig aussprechbares System phonetischer Werte für die Schriftzeichen aufgestellt hatte. Die langen senkrechten Symbole waren Vokale. Es gab nur zehn davon; nicht zu viel, da verschiedene Zeichen für lange und kurze Laute vorgesehen waren. Es gab zwanzig kurze waagerechte Schriftzeichen, was bedeutete, daß Laute wie -ng oder -ch oder -sh durch ein einzelnes Zeichen ausgedrückt wurden. Die Chancen, daß ihr System dem Originallaut der Sprache in irgendeiner Weise ähnlich war, standen eins zu einer Million, aber sie hatte einige tausend marsianischer Wörter katalogisiert und konnte sie alle aussprechen.
    Und so weit ging es gerade. Sie konnte zwischen drei- und viertausend Wörter unterscheiden und keinem davon eine Bedeutung zuordnen. Selim von Ohlmhorst glaubte, daß sie es nie können würde. Ebenso Tony Lattimer, und er war sehr viel weniger zurückhaltend, es auszusprechen. Ebenso, das war sicher, Sachiko Koremitsu. Hin und wieder gab es Momente, in denen sie glaubte, die anderen hätten recht.
    Die Schriftzeichen auf der Seite vor ihr fingen an sich zu winden und zu tanzen, schlanke Vokale mit fetten kleinen Konsonanten. So erschienen sie ihr jetzt jede Nacht in ihren Träumen. Und in anderen Träumen las sie sie so flüssig wie Englisch; wenn sie erwachte, versuchte sie verzweifelt und vergeblich, sich zu erinnern. Sie blinzelte und wandte den Blick von der photokopierten Seite ab; als sie wieder hinsah, benahmen die Buchstaben sich wieder ordentlich. Drei Wörter oben auf der Seite waren über- und unterstrichen, was die marsianische Methode der Großschreibung zu sein schien. Mastharnorvod Tadavas Sornhulva. Sie sprach die Wörter inGedanken aus und blätterte ihre Notizbücher durch, um zu sehen, ob und in welchem Kontext sie ihr vorher schon begegnet waren. Alle drei waren registriert. In Zusammensetzungen war masthar ein ziemlich häufiges Wort, ebenso norvod und auch nor, aber -vod war eine Nachsilbe und nichts anderes. Davas war auch ein Wort und ta- eine häufige Vorsilbe; sorn und hulva waren beides häufig vorkommende Wörter. Sie hatte schon längst entschieden, daß diese Sprache so wie die Deutsche funktionieren mußte; wenn die Marsianer ein neues Wort brauchten, hatten sie einfach ein paar vorhandene Wörter

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