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Anthropofiction

Anthropofiction

Titel: Anthropofiction Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon E.Stover und Harry Harrison
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Jahren tot. Aber wenn sie die letzten Marsianer waren, warum haben wir nicht mindestens ihre Knochen gefunden? Wer hat sie nach ihrem Tod begraben?« Er sah sein Glas an – ein Kelch, dünn wie eine Seifenblase, der mit Hunderten gleicher Art oben in einem Schrank gefunden worden war – als debattiere er mit sich selbst, ob er noch einen Drink nehmen sol le. Dann stimmte er für ›Ja‹ und griff nach dem Cocktail-Shaker. »Und jede Tür in dem ehemaligen Erdgeschoß ist entweder abgeschlossen oder von innen verbarrikadiert. Wie sind sie herausgekommen? Und warum sind sie weggegangen?«
    Am nächsten Tag hatte Sachiko Koremitsu beim Essen die Antwort auf die zweite Frage. Vier oder fünf Elektroingenieure waren mit der Rakete vom Schiff heruntergekommen, und sie hatte den Morgen mit ihnen mit Sauerstoffmasken auf dem Dach des Gebäudes verbracht.
    »Tony, ich glaube, du sagtest, jene Generatoren sei en in gutem Zustand«, begann sie, als sie Lattimer erblickte. »Das sind sie nicht. Sie sind in dem heillosesten Durcheinander, das ich je gesehen habe. Was da oben passiert ist, war folgendes: Die Stützen des Windrotors haben nachgegeben und das Gewicht zerbrach den Hauptpfeiler und zerschmetterte alles darunter.«
    »Nun, nach fünfzigtausend Jahren kann man etwas Derartiges erwarten«, erwiderte Lattimer. »Wenn ein Archäologe sagt, etwas sei in gutem Zustand, meint er nicht unbedingt, daß es funktioniert, sobald man einen Schalter anknipst.«
    »Sie haben nicht bemerkt, daß es passiert ist, während der Strom eingeschaltet war, nicht wahr?« fragte einer der Ingenieure, verärgert über Lattimers Ton. »Nun, das war er. Alles ist ausgebrannt oder kurzgeschlossen oder zusammengeschmolzen; ich habe eine Stromzuführungsschiene gesehen von 20 Zentimetern Durchmesser, die auf ganze 5 Zentimeter zusammengeschmolzen war. Es ist schade, daß wir die Sachen – nicht einmal archäologisch betrachtet – in gutem Zustand gefunden haben. Ich habe eine Menge interessanter Dinge gesehen, Dinge, die fortschrittlicher sind als das, was wir heute verwenden. Aber es wird einige Jahre dauern, alles auszusortieren und ein Bild davon zu gewinnen, wie es ursprünglich ausgesehen hat.«
    »Sah es so aus, als ob irgend jemand einen Versuch gemacht hätte, es zu reparieren?« fragte Martha.
    Sachiko schüttelte den Kopf. »Sie müssen einen Blick darauf geworfen und aufgegeben haben. Ich glaube nicht, daß es irgendwie möglich war, etwas zu reparieren.«
    »Nun, das erklärt, warum sieausgezogen sind. Sie brauchten Elektrizität zur Beleuchtung und Heizung, und ihre ganze Industrieausrüstung war elektrisch. Mit Strom hatten sie hier ein gutes Leben; ohne ihn wäre dieser Ort nicht bewohnbar gewesen.«
    »Warum haben sie dann alles von innen verbarrikadiert, und wie sind sie herausgekommen?« wollte Lattimer wissen.
    »Um andere Leute daran zu hindern, einzubrechen und zu plündern. Wer als Letzter herauskam, hat wahrscheinlich die letzte Tür verschlossen und sich an ei nem Seil von oben heruntergelassen«, brachte von Ohlmhorst vor. »Dieser Houdini-Trick beunruhigt mich nicht so sehr. Wir werden es eventuell herausfinden.«
    »Ja, etwa um die Zeit, wenn Martha beginnt, marsianisch zu lesen«, spottete Lattimer.
    »Genau dann werden wir es vielleicht herausbekommen«, antwortete von Ohlmhorst ernst. »Es würde mich nicht überraschen, wenn sie, als sie diesen Ort räumten, etwas Schriftliches hinterlassen hätten.«
    »Fängst du wirklich an, diesen ihren Wunschtraum als ernsthafte Möglichkeit zu betrachten, Selim?« fragte Lattimer. »Ich weiß, es wäre wunderbar, aber wunderbare Dinge passieren nicht, bloß weil sie wunderbar sind. Nur weil sie möglich sind, und dies ist nicht möglich. Laß mich den berühmten Hethitologen Johannes Friedrich zitieren: ›Nichts kann aus nichts übersetzt werden.‹ Oder jenen späteren, aber nicht minder berühmten Hethitologen, Selim von Ohlmhorst: ›Wo willst du deinen zweisprachigen Text finden?‹«
    »Friedrich hat noch erlebt, daß die hethitische Sprache entziffert und gelesen wurde«, rief von Ohlmhorst ihm in Erinnerung.
    »Ja, nachdem man zweisprachige hethitisch-assyrische Texte gefunden hatte.« Lattimer schüttete einen Löffel Kaffeepulver in seine Tasse und goß heißes Wasser darauf. »Martha, du solltest besser als irgendjemand anders wissen, wie gering deine Chancen sind. Du hast jahrelang im Indus-Tal gearbeitet; wie viele Wörter der Harappa-Sprache hast du oder sonst

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