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Anti-Eis

Anti-Eis

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belgischen
Auslieferungsantrag und Protesten der bedrängten
französischen Regierung – ganz zu schweigen von den
praktischen Problemen der Kommunikation mit dieser nebulösen
Körperschaft – drohte dem unglücklichen Bourne eine
lange Haft zu bescheren, noch bevor sein Fall überhaupt
verhandelt wurde.
    Holden brach umgehend nach Manchester auf und schärfte uns
ein, keinem anderen Journalisten Details unseres Abenteuers zu
enthüllen. Es war belustigend zu sehen, wie seine füllige
Statur, die auf den Status eines im Rollstuhl umherfahrenden
Kartoffelsackes reduziert worden war, vor Erregung zitterte, als der
Umfang der Geschichte – und die daraus resultierenden Tantiemen
– im Hirn dieses Schreibers ständig zunahm; man schien
direkt sehen zu können, wie es ihm in den Fingern juckte.
    Dennoch wurde Holdens Bericht, der nach einigen Tagen in den
Zeitungen von Manchester erschien, unserem Abenteuer im wesentlichen
gerecht. Ich las mir die ziemlich reißerische Prosa durch und
muß gestehen, daß mich nachträglich noch ein
Schauder des Schreckens überkam, als er meinen Ausflug in das
Vakuum und (da übertrieb er indes) meinen Kampf mit den
Felsenmonstern von Luna beschrieb. Der Bericht im Manchester
Guardian war reichlich mit Lithographien diverser Szenen der
Handlung illustriert und wurde von einer Reproduktion von Holdens
berühmter Photographie gekrönt, die mich und das
glücklose Modell von Brunels Ozeandampfer zeigte.
    Enttäuscht war ich lediglich über das negative Bild, das
Holden von Traveller zeichnete. Der Journalist verbreitete sich in
einer Art und Weise über Travellers quasianarchistische
Sympathien, daß öffentliche Kritik an dem Ingenieur
aufkam, selbst in diesem Augenblick seines größten Ruhms.
Ich nutzte den Anlaß und beschäftigte mich eingehender mit
den verschiedenen anarchistischen Denkern – wobei ich solch
aufwieglerische Wirrköpfe wie Bakunin ignorierte und mich auf
substantiellere Persönlichkeiten wie Proudhon konzentrierte, der
postulierte, daß das Streben nach Besitz und politischer Macht
nur den gewalttätigen und irrationalen Elementen der Menschen
Vorschub leiste.
    Sicherlich, so überlegte ich, wurde Proudhons These durch den
gegenwärtigen Krieg in Europa fundiert verifiziert, und ich
bedauerte Holdens Illoyalität.
    Auf jeden Fall erlangte ich durch Holdens Ausführungen eine
kurze Berühmtheit.
    Ich kehrte in den Schoß meines Elternhauses in Sussex
zurück, wobei meine Familie über die Maßen
glücklich war, mich unversehrt und gesund wiederzusehen. Ich
erlebte ein bewegendes Wiedersehen mit meinem Bruder Hedley; sein
vernarbtes Gesicht verzog sich vor Freude, als ich auf Sir Josiah zu
sprechen kam, der seit ihrer einseitigen Bekanntschaft auf der Krim
eine Art Faszinosum für Hedley geworden war. Meine Londoner
Freunde, von denen mich einige besuchten, drängten mich zu einem
spektakulären Wiedereintritt in die Gesellschaft, damit ich noch
mehr von meinem Status als Held profitieren konnte. Ich schaute in
ihre Gesichter, die erstaunlich jung und frisch wirkten, und lehnte
ihre Einladungen ab – nicht etwa wegen eines untypischen Anfalls
von Bescheidenheit, denn ich hätte der bewundernden
Aufmerksamkeit der Salonschönheiten sicher sein können,
wenn ich erzählte, daß es eigentlich doch nicht so schlimm
gewesen wäre –, sondern eher wegen eines anhaltenden
Gefühls der Einsamkeit. Und außerdem verursachten die
widersprüchlichen Emotionen bezüglich Françoise
einen inneren Konflikt, den ich nicht bewältigen konnte.
    Ich unternahm lange, einsame Spaziergänge in den Wäldern
in der Nähe meines Elternhauses und erforschte diese
konträren Gefühle. Es kam mir fast so vor, als ob ich,
nachdem ich den Staub der Erde von den Stiefeln geschüttelt
hatte, nicht mehr in der Lage wäre, mich bedingungslos in die
menschliche Gesellschaft einzufügen. Und ich vermißte in
zunehmendem Maße die Gesellschaft meiner früheren
Kameraden.
    Ich beobachtete, wie das Laub der Bäume sich herbstlich
verfärbte, und überlegte, wie ein solcher Anblick wohl aus
dem All wirken würde.
    Ich schwor mir, daß ich sofort nach dem Verblassen meines
kurzlebigen Ruhms wieder in die Welt der Menschen eintauchen
würde; und in der Tat verblaßte der Ruhm – wenn auch
nicht aus den Gründen, die ich eigentlich favorisiert
hätte. Denn mit den länger werdenden Herbstnächten
wurde auch die Lage der Franzosen immer verzweifelter.
    Die Preußen hielten ihre Belagerungsringe aus

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