Anti-Eis
Führung des
Landes versagt worden – vielleicht würde noch immer die
unsinnige Situation mit London als Hauptstadt existieren! Welch eine
lächerliche Vorstellung. So hat es vielleicht auch sein Gutes,
daß der angeschlagene ›Dizzy‹ sich aus der Politik
zurückgezogen hat und sich auf seine bizarren literarischen
Abenteuer konzentriert… aber dennoch vermisse ich den Elan
dieses Burschen.
Vielleicht ist es aber auch ein Segen, daß uns in dieser
Stunde ein Glad Eyes vor die Nase gesetzt wurde; wie Ihr nämlich
schon gesagt habt, würden er und seine Truppe von
verweichlichten Whigs es sicher nicht riskieren, uns in ein solch
absurdes Abenteuer zu führen… Und wenn die Gerüchte
stimmen, dann ist er ohnehin eher an Ausflügen nach Soho als
nach Sedan interessiert.«
Mir blieb die Luft weg angesichts dieser respektlosen Tiraden.
»Also wird Gladstone uns vielleicht nicht in den Krieg in
Europa verwickeln. Aber… er hat andere Optionen.«
»Sagt mir, was Ihr damit meint, Sir Josiah.«
Er beugte sich nun nach vorne und verschränkte die Arme auf
dem Tisch. »Ned, Ihr erinnert Euch doch an die Erlebnisse Eures
Bruders auf der Krim.«
Im ersten Augenblick ergaben diese dunklen Worte, die düster
inmitten dieses hellen Farmhauses gesprochen wurden, keinen Sinn
für mich; und dann, in einem plötzlichen, schockierenden
Moment, begriff ich. »Großer Gott, Traveller.«
Er implizierte natürlich, daß die britische Armee
wieder Anti-Eis-Waffen einsetzen könnte; und diesmal nicht auf
einer weit entfernten südrussischen Halbinsel mit einem
komischen Namen – sondern im Herzen Europas.
Ich suchte in seinem Gesicht nach einem Indiz, das meine
Interpretation widerlegte; aber alles, was ich in diesen langen,
nüchternen Gesichtszügen sah, war eine schreckliche Angst,
gepaart mit immensem Zorn. »Anti-Eis-Waffen«, sagte er,
»könnten die preußische Armee binnen weniger Minuten
vernichten. Und Gladstone weiß das. Bismarck hat sicher die
fehlende Bereitschaft der Briten ins Kalkül gezogen, in
europäischen Konflikten zu intervenieren – aber der Druck
auf Gladstone, diesen gewaltigen Vorteil zu nutzen, muß mit
jedem Tag wachsen.«
Ich beobachtete den Widerstreit zwischen Furcht und Zorn in
Travellers Augen und stellte mir vor, wie dieser barsche, aber
grundanständige Mann erneut gezwungen wurde, sich mit
Kriegsgerät zu befassen. Aus einem Impuls heraus ergriff ich
seinen Ärmel. »Traveller, Ihr habt uns zum Mond und wieder
zurück gebracht. Ihr verfügt über eine immense
Stärke; ich bin absolut zuversichtlich, daß Ihr es nicht
gestatten werdet, Euer Genie auf eine solche Art mißbrauchen zu
lassen.«
Aber seine Angst verschwand nicht; und erneut blätterte
Traveller die Zeitungen durch, als ob er einen Hoffnungsschimmer in
den Worten der Vergangenheit suchte.
Unsere Idylle sollte das Ende dieser Unterhaltung nicht
länger als ein paar Minuten überdauern. Der erste, der an
die Haustür der Lubbocks hämmerte, war der
Bürgermeister der nächsten Stadt – deren Namen wir
noch nicht einmal in Erfahrung gebracht hatten –, und
während ich die stämmige, lehmbespritzte Statur dieses
Gentlemans musterte, erkannte ich mit bedenklich sinkender Stimmung,
daß ich in der Tat wieder zuhause war.
Wir wurden aus unserem Unterschlupf in Kent weggebracht. Uns blieb
nur kurze Zeit, um uns voneinander zu verabschieden – was
vielleicht ganz gut war, denn ich verspürte eine erstaunlich
starke Verbundenheit mit meinen Reisegefährten. Ich würde
zwar nicht so weit gehen und behaupten, daß ich diese langen
Wochen der Gefangenschaft in der Phaeton nostalgisch
verklärte, aber ich fühlte mich doch ziemlich schutzlos
ohne die Gesellschaft meiner Kameraden.
Traveller quartierte sich bald in einem behaglichen Gasthof in der
Nähe des Feldes der Lubbocks ein, wo seine wertvolle Phaeton lag, und schickte sich an, das Schiff zu seinem Laboratorium in
Surrey zurückzuführen. Der treue Pocket erbat und erhielt
ein paar Tage Urlaub, um seine geliebten Enkelkinder zu besuchen und
sie davon zu überzeugen, daß er noch unter den Lebenden
weilte; dann kehrte er wieder an seine Arbeit zurück, erkannte
und bediente diskret die Bedürfnisse seines Arbeitgebers.
Was Bourne betrifft, so wurde dieser ohne weitere Verabschiedung
unter starker Bewachung aus Kent fortgebracht und geriet bald in die
Mühlen der internationalen Justiz. Der kompliziert liegende Fall
mit einer britischen Anklage wegen Sabotage, einem
Weitere Kostenlose Bücher