Anti-Eis
auslegte!
Ich beneidete George nicht um seine gewaltigen Einnahmen – du
hast es dir verdient, Kamerad –, aber solche Selbstdarstellung
war meine Sache nicht.
Als ich nach dem Einsatz der ersten Gladstone-Granate nach England
zurückgekehrt war, quittierte ich den Dienst in London und ging
wieder zu meiner Familie nach Sussex. Ich begann ein Studium der
Rechtswissenschaften, eröffnete eine Kanzlei und arbeitete dann
so unauffällig – und so anonym wie möglich – als
bestenfalls mäßig erfolgreicher Rechtsanwalt in der Gegend
von Sussex.
Aber ich habe die Entwicklung der globalen Ereignisse seit jenem
kataklysmischen Herbst verfolgt; und manchmal habe ich den Eindruck,
daß die Angelegenheiten der Menschen sich wie eine traurige
Blume um diesen einen, blendenden Lichtpunkt der Gladstone-Granate
entfaltet haben.
Ich will nicht weiter ausführen, was ich vom zerstörten
Orleans sah. Ich bete zu Gott, daß Dir ein solcher Anblick
erspart bleibt, Edward. Aber vielleicht wird Dich Dein Dienst einmal
an diesen schrecklichen Ort führen, an dem die Prince Albert noch immer ruht, seit sie das kleine Präsent von der
preußischen Artillerie erhielt, ein rostiges Mahnmal eines
vergangenen Krieges.
Der Einsatz der Anti-Eis-Granate markierte natürlich das Ende
des Europäischen Krieges; wenn schon die Angst vor einer
erneuten britischen Intervention nicht ausgereicht hätte, dann
glaube ich zumindest, daß der Kampfeswille der in den Ebenen
der Loire angetretenen Soldaten sich während der
Aufräumungsarbeiten inmitten des Gestanks von Orleans
verflüchtigte. Ich erinnere mich an den Anblick, wie die
verdreckten Preußen sich langsam und gemessen zu Kolonnen
formierten und abzogen; und ich wußte, diese Generation
würde nicht mehr in den Krieg ziehen.
Edward, ich stelle nun mit Entsetzen fest, daß gewisse
Nachschlagewerke die Bombardierung von Orleans als großen
Triumph für die Briten darstellen. Es war ein Unfall – die
Granate sollte die Stadt nämlich überhaupt nicht treffen
–, und die Tatsache, daß Gladston mit dieser Intervention
so viele seiner Ziele durchsetzen konnte, beruht nur auf dem schieren
Schrecken und dem Massaker, das vom Anti-Eis angerichtet wurde.
Ein Friedensvertrag zwischen Frankreich und Preußen kam im
Frühjahr 1871 unter britischer Ägide auf dem Kongreß
von Tours zustande. Nach einem derart kostspieligen Rückzug
zerstoben Bismarcks Ambitionen eines vereinten Deutschland, und
dieser schlaue alte Herr mußte sich noch bemühen, den
Einfluß und die Macht, die er bisher ausgeübt hatte, zu
verteidigen. (Aber er hat sich natürlich behaupten können.)
Mithin ist Deutschland auch heute noch ein liebenswertes Gebilde aus
lauter Kleinstaaten, die von Fürsten und Herzögen regiert
werden, wobei der preußische Adler gleichsam in der Ecke
schwebt, und das ist, zumindest in den Augen der Briten, auf jeden
Fall einem mächtigen Deutschland im Herzen Europas vorzuziehen,
das sonst entstanden wäre.
Mittlerweile hatte die neue provisorische Regierung Frankreichs
unter Gambetta britische Hilfe bei der Niederschlagung der
anhaltenden Unruhen in Paris in Anspruch genommen; und Gambetta ist
sogar dem Rat bedeutender englischer Parlamentarier gefolgt, eine
Verfassung für eine neue Dritte Republik zu verabschieden. Und
nun hat es sich gefügt, daß ein Parlament – das der
Mutter aller Parlamente in Manchester bis ins kleinste Detail gleicht
– täglich in Paris zusammentritt, und in vier Jahrzehnten
ist der dem britischen Vorbild entlehnte Parlamentarismus integraler
Bestandteil der französischen Gesellschaft geworden.
Ja, wir haben heute ein Europa, dessen Ordnung den Vorstellungen
der gerechtesten und ehrenhaftesten – britischen –
Staatsmänner des Jahres 1860 entspricht; und um diese Ordnung
aufrechtzuerhalten, haben wir in solchen traditionellen
Gefahrenherden wie Belgien, Elsaß-Lothringen und Dänemark
Garnisonen errichtet – und sogar an der Peripherie von Berlin.
Wir mögen zwar nicht die von den Söhnen der Gascogne
erträumten normannischen Festungen erbaut haben, aber
nichtsdestoweniger können wir sagen, daß wir ein
Britisches Europa geschaffen haben.
Und als ob diese ganze politische und militärische Dominanz
noch nicht ausreichen würde, gibt es noch die fortdauernden
Wunder der Anti-Eis-Technologie. Das Netz der Schwebebahnen erstreckt
sich immer weiter über den Kontinent, und Luftboote, sowohl
für Passagiere als auch für Fracht, in denen die brave alte Phaeton
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