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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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stellte mir vor, wie Hunderttausende
Soldaten sich aufrichteten, ihre Gegner ansahen und sich dann dieser
monströsen neuen Erscheinung zuwandten.
    »Was habe ich getan?« sagte Traveller. »Sewastopol
war im Vergleich hierzu nur eine Kerze.«
    Ich suchte nach Worten. »Ihr hättet das nicht verhindern
können…«
    Er drehte sich zu mir um, wobei er seiner Travestie eines
Gesichtes ein bizarres Lächeln aufgeprägt hatte. »Ned,
seit der Krim habe ich mein Leben der friedlichen Nutzung von
Anti-Eis gewidmet. Ich hatte nämlich kalkuliert, daß, wenn
ich das verdammte Zeug für zivile, dabei aber gerade auch
spektakuläre Zwecke einsetzte, es nie wieder für
kriegerische Anlässe mißbraucht würde. Nun, zumindest
ist das Zeug durch Gladstones Schrullen jetzt erschöpft…
Aber ich habe versagt. Und noch schlimmer: Durch die Entwicklung
immer ausgefeilterer Techniken für die Nutzung des Eises habe
ich der Erde diesen Tag beschert.
    Ned, aber ich möchte Euch noch eine andere Erfindung
zeigen.« Sein Gesicht war noch immer durch dieses gespenstische
Lächeln entstellt, als er seine Zurückhaltung aufgab.
    »Was…?«
    »Ein Entwurf von Leonardo – einem der wenigen Römer
mit einem Sinn für das Praktische. Ich glaube, es wird Euch
gefallen…«
    Und das waren seine letzten Worte, bevor seine Faust gegen meine
Schläfe krachte.
     
    Ich erwachte durch kalte Luft, die mich umfächelte. Ich
schlug die Augen auf, und ein pulsierender Kopfschmerz setzte
ein.
    Der Kleine Mond füllte mein Gesichtsfeld aus.
    Ich saß in der Schleuse nahe der Basis der Raucherkabine.
Die Beine baumelten aus der offenen Luke; das Schlachtfeld lag viele
hundert Fuß unter mir. Ein merkwürdiger khakifarbener
Rucksack, wie ein Tornister, war an meiner Brust befestigt.
    Als ich wieder alle Sinne beisammen hatte, wollte ich mich
erschrocken an der Schleusenkante festhalten. Eine Hand legte sich
auf meine Schulter; ich wandte mich um und starrte abwesend auf lange
Finger, die eine exotische Spinne zu umfassen schienen.
    Es war, natürlich, Traveller. »Es ist fast vollbracht,
Ned«, schrie er gegen die rauschende Luft an. »Der Bestand
an Anti-Eis ist praktisch erschöpft. Jetzt muß ich nur
noch den Rest erledigen.« Sein Lachen wurde durch das Loch in
seinem Gesicht verzerrt.
    Sein Ton erschreckte mich. »Traveller, laßt uns an
einem sicheren Ort landen und…«
    »Nein, Ned. Unser junger französischer Saboteur hat
einmal gesagt, die Vergeudung von ein paar Unzen Anti-Eis würde
den Tod eines Patrioten rechtfertigen. Nun, ich glaube jetzt,
daß er damit recht hatte. Ich werde die Phaeton zerstören und mit diesem Akt der Katharsis die Befreiung der
Erde vom Fluch des Anti-Eis beschleunigen.«
    Ich suchte nach Worten. »Traveller, ich verstehe.
Aber…«
    Aber da war keine Zeit mehr für weitere Worte; ich erhielt
nämlich einen Fußtritt in den Allerwertesten, der mich mit
den Füßen voran aus dem Schiff und in die Luft
beförderte!
    Als die kühle Luft an meinen Ohren vorbeistrich, schrie ich
in Erwartung des sicheren Todes auf. Ich fragte mich, wie verzweifelt
Traveller sein mußte, daß er eine solche Handlung beging
– aber dann, nach einem freien Fall über fünfzig
Fuß, verspürte ich ein heftiges Zerren am Oberkörper.
Die an dem Rucksack befestigten Schnüre strafften sich, und nun
sank ich langsam baumelnd zu Boden. Ich schaute auf – unter
erschwerten Bedingungen, denn die Gurte des Rucksacks hatten sich
unter den Achseln verdrillt. Die Schnüre waren an einem
Konstrukt aus Segeltuch und Seilen befestigt, das einen nach unten
zulaufenden Kegel bildete, in dem sich während meines Sturzes
die Luft fing und solcherart die Sinkgeschwindigkeit auf ein sicheres
Maß reduzierte.
    Ich wand mich in den Gurten und schaute an den baumelnden
Füßen vorbei nach unten. Der Anti-Eis-Pilz wuchs noch
immer und erhob sich hoch über das vernichtete Orleans. Die
Armeen Frankreichs und Preußens waren unter mir ausgebreitet,
aber es war fast keine Bewegung zu erkennen; und es war auch nicht
vorstellbar für mich, daß Menschen nach einem solchen
Ereignis wieder miteinander kämpfen konnten. Vielleicht, so
überlegte ich in der Stille und Ruhe meines Abstieges durch die
Luft, würde, wo die weltweiten Bestände an Anti-Eis nun
praktisch erschöpft waren, dieser – gespenstische –
Vorfall den kommenden Generationen als Warnung vor den Gefahren und
Schrecken des Krieges dienen.
    Vielleicht hatte Traveller schließlich doch sein Ziel einer
Welt

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