Anti-Eis
worauf wollt Ihr hinaus?« fragte Holden.
»Angenommen, wir blockieren die Rohre, welche die Brücke
mit Luft versorgen. Dann würde unser Hunnenfreund sicherlich
binnen weniger Stunden an seinem eigenen Gestank ersticken.«
Traveller nickte gemessen. »Eine elegante Lösung. Aber
wenn eine solche Vorgehensweise auch eine schöne Rache
wäre, würde sie unsere Lage nur noch verschlechtern. Wir
hätten nämlich nach wie vor keinen Zugang zur Brücke,
aber statt eines deutschen Piloten einen toten Piloten!«
Die ruhige, herablassende Art, in der der Ingenieur meinen
Vorschlag auseinandernahm, alles vorgetragen im monotonen, nasalen
Manchester-Tonfall, brachte mich auf die Palme. »Dann laßt
uns fortfahren«, sagte ich und versuchte, meine Stimme zu
stabilisieren. »Die Luftpumpen befinden sich im Maschinenraum.
Was gibt es da noch?«
»Ihr könnt selbst nachschauen«, meinte Traveller.
»Pocket, würdest du die Wartungsluken
öffnen?«
Mit einem knappen Nicken stieß der geduldige Diener sich vom
Stuhl ab und schwebte zum Boden hinab. Dort zog er am Orientteppich
und am Linoleum, welches das Schott bedeckte; die Teppiche waren mit
Haken und Ösen fixiert, die sich schnell lösen
ließen, aber der arme Mann hatte seine liebe Not, die losen
Teppiche in der Schwerelosigkeit zusammenzurollen. Pocket wies alle
unsere Hilfsangebote kategorisch zurück und bat uns nur von Zeit
zu Zeit, die Füße zu heben.
Ich hatte noch keinen Menschen gesehen, der seinen Platz so gut
kannte und ihn mit solcher Perfektion ausfüllte.
Schließlich waren die Teppiche zusammengerollt und in einem
Spalt am oberen Abschluß der Kabinenwand verstaut. Das
solcherart enthüllte Schott glänzte wie Aluminium, aber es
war nicht massiv; vielmehr war das etwa fünfzehn Fuß
durchmessende Schott kaum mehr als ein Gitter, in das große
Löcher gestanzt worden waren, und diese Löcher wurden von
paßgenauen rechteckigen Platten bedeckt, die mit
Flügelmuttern fixiert waren. Ein Abschnitt des Schotts war mit
einander überlappenden Gummimatten bedeckt; wie ich mich
erinnerte, befand sich hier die verborgene Badewanne, die wir
täglich benutzten.
Nun stemmte Traveller die Füße gegen die geriffelte
Aluminiumoberfläche und löste die Flügelmuttern, mit
denen eine der Platten befestigt war. Er ordnete die Muttern
ordentlich in einer Reihe an – in der Schwerelosigkeit –
und steckte sie dann in eine Westentasche. »Ihr braucht keinen
Luftverlust zu befürchten«, sagte er. »Dieses Schott
ist nicht luftdicht, und in den unteren Abteilungen herrscht derselbe
Druck wie in dieser Kabine.«
Holden und ich schauten in das Loch hinunter. Die Kammer war
vielleicht sieben Fuß tief, und unmittelbar unter dem Loch
befand sich eine etwa vier Fuß durchmessende Kugel, die auf
einem stabilen Gerüst ruhte; diese Kugel war mit Silber
beschichtet, so daß wir sowie die über und neben uns
hängenden Acetylenlampen von ihrer Oberfläche reflektiert
wurden. Das, so erklärte uns Traveller, war einer der drei
Dewar-Behälter der Phaeton, die das Anti-Eis enthielten.
Ich musterte den Behälter mit einem Anflug von Ehrfurcht und
berührte seine silberne Hülle. Aber ich spürte nur
eine glatte, angenehm warme Oberfläche; es gab weder einen
Hinweis auf die Vakuumschicht, die hinter der äußeren
Hülle der Kugel lag, noch auf die Handvoll Urgewalt, die sich in
ihrem Mittelpunkt befand.
Traveller zeigte uns ein ausgeklügeltes Gestänge, das
nach seinen Worten durch die Hülle zu in der Brücke
installierten Hebeln verlief. Die Stangen penetrierten den
Dewar-Behälter, sagte Traveller, und bildeten somit die Basis
des Systems, mit dem – unter der Regie der Brücke –
dosierte Mengen Anti-Eis aus dem zentralen Tiefkühlfach des
Dewar-Behälters entnommen werden konnten. Dann schmolz das Eis
und setzte so seine Energie frei.
Traveller erläuterte uns, wie die Energie des Anti-Eises dazu
verwendet wurde, Wasser in einer Batterie von Boilern zu erhitzen.
Hierbei handelte es sich um Metallkästen, die von
wasserführenden Röhren umschlungen wurden. Aus den Boilern
trat hocherhitzter Dampf aus und strömte dann durch Kanäle
zurück, die durch die Anti-Eis-Dewars selbst verliefen.
Um nun den Wirkungsgrad seiner Maschinen zu erhöhen, nutzte
Traveller auf geniale Weise diese andere wunderbare Eigenschaft von
Anti-Eis, die Supraleitung.
Die Anti-Eis-Brocken wurden permanent von starken elektrischen
Strömen durchflossen. Diese Ströme erzeugten ihrerseits
starke
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