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Anti-Eis

Anti-Eis

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wäre unser fliegendes
Gefängnis bald so schmutzig wie eine Hütte in den Slums von
Kalkutta gewesen.
    Traveller und Pocket hatten eine kleine Garderobe im Schiff;
Traveller lieh Holden und mir Unterwäsche und Morgenmäntel,
und der wunderbare Pocket schaffte es tatsächlich (unter Einsatz
von Seife, Schwamm und Tuch), den gröbsten Schmutz aus der
Kleidung zu beseitigen, die wir am Tage des Starts getragen
hatten.
    Und so fügte es sich dann, daß wir drei Gentlemen
– etwas zerknittert vielleicht, aber dennoch mehr als
gesellschaftsfähig – gegen halb neun auf unseren Sitzen
Platz nahmen und uns von Pocket mit heißem Tee, Schinken und
Buttertoast bewirten ließen.
    Traveller konnte mit umfassenden Theorien über die Risiken
des Lebens in der Schwerelosigkeit aufwarten, zu denen auch der
Schwund ungenutzter Muskeln und Knochen zählte, und er
prophezeite uns, daß wir nach der Rückkehr zur Erde so
schwach wären, daß wir das Schiff ohne fremde Hilfe nicht
verlassen könnten. Und so zogen wir die Morgenmäntel an und
absolvierten ein intensives Trainingsprogramm, während Pocket
das Frühstück zubereitete – in der Regel einen
leichten, kalten Imbiß. Die Übungen umfaßten
Schattenboxen, eine neuartige Form des Laufens, die darin bestand,
wie eine Maus in ihrem Laufrad ständig an der Wand der Kabine
entlangzulaufen, und gelegentlich etwas spielerisches Ringen.
    Holden war übergewichtig, kurzatmig und überhaupt in
keiner guten Verfassung; Pocket war ausgezehrt und ziemlich schwach;
und Traveller – obwohl motiviert, energisch und gewandt –
war siebzig Jahre alt und hatte leichtes Asthma, wobei die
völlige Zerstörung seiner Nase und die bei einem schon
länger zurückliegenden Anti-Eis-Unfall zugezogenen
Nebenhöhlenschäden seiner Verfassung nicht gerade
förderlich waren. Also absolvierte ich, der Jüngste und
Gesündeste von uns, das Training allein.
    Die Nachmittage verbrachten wir mit Spielen – die Phaeton hatte etliche Spiele wie zum Beispiel Schach und Dame
vorrätig, die aufgrund ihrer Miniaturausführung leicht
untergebracht werden konnten; und zuweilen ergingen wir uns auch in
ein paar Partien Bridge, wobei wir Travellers patentierte magnetische
Kartenspiele verwendeten. Holden war ein engagierter, aber ziemlich
konservativer Spieler, während Sir Josiah sich als risikofreudig
erwies, aber ziemlich schlecht spielte! Der arme Pocket, der als
vierter Mann zwangsverpflichtet worden war, kannte gerade die
Spielregeln; und nach den ersten paar Durchgängen losten wir
drei diskret aus, wer das Pech hatte, mit dem armen Burschen
zusammenzuspielen.
    Das gegen sieben servierte Abendessen war die üppigste
Mahlzeit des Tages; üblicherweise wurde Wein dazu gereicht und
mit einem oder zwei Fläschchen Portwein sowie einer Zigarre abgerundet. Um diese Uhrzeit ließ Pocket die Rollos
herunter, wodurch er den unirdischen Himmel jenseits der Hülle
ausblendete und uns die Illusion eines gemütlichen
Schlupfwinkels bot. Es war recht angenehm, locker an die
Klappstühle gegurtet in stiller Runde zu sitzen und zuzuschauen,
wie der Zigarrenrauch spiralförmig den verborgenen Luftfiltern
zustrebte.
    Die Abende endeten in der Regel damit, daß Traveller auf dem
fragilen Piano ein paar Hymnen spielte, oder, was wahrscheinlicher
war, einige der verruchten Variete-Nummern, von denen er anscheinend
ein enzyklopädisches Repertoire besaß. Während der
Portwein seine Wirkung in uns entfaltete, schwebten wir in allen
Positionen um den Ingenieur herum, dessen Rockschöße beim
Spielen in der Luft flatterten und der Lieder grölte, die
unseren Müttern die Schamesröte ins Gesicht getrieben
hätten!
    Und so setzte unser Schiff in den nächsten Tagen den Flug
fort, eine winzige Blase aus Wärme, Luft und englischer
Zivilisation, die in einem Fluß himmlischer Dunkelheit
dahintrieb.
    Als sich das durch den permanenten Zustand der Schwerelosigkeit
verursachte Schwindelgefühl erst einmal gelegt hatte – und
im Falle des armen Holden eine ernste körperliche Krankheit, die
an mal de mer erinnerte –, fanden wir das Gefühl des
ständigen Schwebens höchst angenehm. Das neue Gefühl
des Fliegens, die unglaubliche Genialität von Travellers
wunderbaren Geräten und die schiere Einzigartigkeit unserer
Situation ließen unsere Zwangslage zuerst faszinierend und dann
sogar erfreulich erscheinen.
    Aber die negativen Aspekte unserer Lage befanden sich immer dicht
unter der Oberfläche meiner Gedanken, und – im Laufe

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