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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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der
Zeit – artikulierten sich die uns drohenden Gefahren und die
Ungewißheit immer deutlicher in meinem Verstand, wie der Wind
den Sand über einer versunkenen Ruine fortbläst.
    Meine Träume kreisten um Françoise.
    Ich verbrachte Stunden damit, mir die Liebe vorzustellen, die
eines Tages zwischen uns blühen könnte –, und meine
Träume waren so intensiv, daß ich manchmal das Gefühl
verspürte, sie wäre wirklich bei mir, die Erleichterung,
nicht mehr allein zu sein, die wahrer Liebe entspringt. Und mehr noch
als das: Als ich weiter meditierte, verwandelte sich das schöne
und entfernte Gesicht von Françoise in meiner Vorstellung in
ein Symbol der menschlichen Welt, der ich entrissen worden war.
    Jeden Morgen schaute ich begierig zu, wie Pocket die Rollos
hochzog und hoffte gegen jede Wahrscheinlichkeit, daß unsere
Situation sich während der Nacht irgendwie verändert
hätte, daß unser unsichtbarer Pilot auf Gegenkurs gegangen
wäre (obwohl Traveller ungeduldig erklärte, daß wir
kaum noch Schlaf finden könnten, wenn die Motoren wieder
aktiviert würden). Aber jeden Morgen wurde ich enttäuscht;
jeden Morgen schrumpfte die Erde etwas mehr und demonstrierte uns,
daß wir uns in jeder Minute Hunderte von Meilen von unserem
Heimatplaneten entfernten.
    So saßen wir vier Fremden, die so plötzlich in dieses
fliegende Gefängnis geworfen worden waren, die Tage aus. Wir
kamen gut miteinander aus – paßten sogar aufeinander auf.
Holden und Traveller ertrugen ihr Los mit stoischer Gelassenheit und
Tapferkeit, die nur von Travellers ungeduldigem Wunsch unterbrochen
wurde, zu seinen diversen Konstruktionsprojekten auf der Erde
zurückzukehren. (Ich hingegen hatte keine Probleme, meine Arbeit
und Spiers bösartiges kleines Gesicht zu vergessen.) Und Pocket
– obwohl er der Schwindelanfälligste von uns allen war
– wirkte so glücklich bei seinem Tagewerk, als ob er sich
auf festem Boden befände.
    Doch als die Zeit in Monotonie verstrich, wucherten Langeweile,
Reizbarkeit und klaustrophobische Anwandlungen wie Unkraut in mir;
und als ich am Morgen des fünften Tages auf dem Stuhl saß,
Pockets aus Schinken und Toast bestehendes Frühstück vor
Augen, und hörte, wie Traveller und Holden die Risiken der
Börse diskutierten, zerbrach etwas in mir.
    Ich erhob mich vom Stuhl und schubste das
Frühstückstablett weg. »Ich kann das nicht mehr mit
anhören!« Ich schwebte in der Luft wie ein Racheengel,
wobei dieser Effekt indessen von herumdriftenden Toastkrümeln
konterkariert wurde.
    Traveller schaute hoch; seine Platinnase wurde von einem Klecks
Marmelade verziert. »Mein Gott, Wickers. Wahrt die Contenance,
Sir.«
    Ich spürte, wie Zorn in meiner zitternden Stimme mitschwang.
»Sir Josiah, zum hundertsten und letzten Mal: Mein Name ist
Vicars, Edward Vicars; und was die Contenance betrifft, so habe ich
mich dieser in den letzten Tagen wohl hinreichend
befleißigt.«
    »Das bringt doch nichts, Ned«, sagte Holden
düster.
    Ich wandte mich ihm zu. »Holden, wir sind hier in dieser
lächerlichen Lederkiste gefangen, die immer tiefer in den
unbekannten Weltraum vordringt! Und Ihr sitzt da und erörtert
hypothetische Aktienbewegungen…«
    Traveller biß in seinen Toast. »Welche Alternative
hättet Ihr denn anzubieten?«
    Ich schlug mit der Faust auf die Handfläche. »Daß
wir diese vorgetäuschte Normalität ablegen; daß wir
uns zusammensetzen und besprechen, wie wir das Schiff von diesem
derangierten Hunnen zurückerobern können, der die
Brücke besetzt hält.«
    »Ned…«, sagte Holden.
    Aber Traveller nickte. »Wir werden jeden Punkt behandeln, den
Ihr erwähnt habt«, sagte er raspelnd. »Aber, Sir,
gestattet Ihr, daß ich zunächst mein Frühstück
in Ruhe beende?«
    »Frühstück?« ereiferte ich mich. »Wie
könnt Ihr Toast in einer Situation mümmeln, für die es
in der Menschheitsgeschichte keine Parallele gibt – in der sogar
unser Leben auf dem Spiel steht…«
    Ich setzte diese Tiraden noch eine Weile fort, aber der alte
Gentleman reagierte überhaupt nicht darauf; und ich war
gezwungen, wutschnaubend aufzuhören und zu warten, bis das
Frühstück beendet und abgetragen war.
    Völlig ungerührt wischte Traveller sich die Finger an
einer Serviette ab.
    »Nun, Ned, ich habe Verständnis für Eure
Gefühle und bewundere sogar Eure Entschlossenheit, die, obschon
auf Ignoranz und Heißblütigkeit gegründet, dennoch
Elemente des Mutes enthält. Allerdings seid Ihr nicht so dumm,
wie Ihr wirkt, Ned,

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