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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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auf Sprungfedern gelagerten
Vorrichtungen zur Beschleunigungsmessung kann man jederzeit die
Position des Schiffes bestimmen, ohne sich nach den Sternen richten
zu müssen; man könnte sogar die Kuppel dieser Brücke
verdunkeln und dennoch mit einer Abweichung von nur wenigen Meilen
navigieren, dank meiner einfallsreichen Konstruktion.«
    Mit dem Zeigefinger berührte Holden den Tisch dicht bei der
Oberfläche des Erdmodells; ich sah, daß er auf die
Abbildung von England zeigte und dabei auf eine dicke schwarze Linie
deutete, die sich vom Nordpol über London und dann mehrere
tausend Meilen über die Grenze der Welt hinaus erstreckte.
»Und das hier?«
    »Das ist natürlich der Meridian von Greenwich«,
erklärte Traveller ungeduldig.
    Holden nickte zwar ruhig, warf mir aber dennoch einen Blick zu;
und wir beide dachten über die unbewußte Symbolik nach,
derer sich dieser erstaunliche, anarchistische Gentleman
befleißigte: Denn dieses Symbol stand weltweit für
britische Rationalität und Wissenschaft und erhob sich nun
über die Oberfläche der Erde und griff nach den
Sternen.
    Ich verfolgte die Linie der Positionsmarkierungen, die sich
bereits deprimierend weit von der Erde entfernt hatte; wie ich sah,
würden wir bald sogar den Rand des Navigationstisches
überschreiten. Ich machte Traveller darauf aufmerksam. »Ich
muß gestehen, daß ich mir nicht vorgestellt hatte, so
weit mit diesem unerprobten Schiff zu fliegen«, sagte er.
»Aber selbst in diesem Fall wird der Tisch dennoch nicht nutzlos
werden.« Mit diesen Worten steckte er den Kopf unter den Tisch
und durchstöberte einen dort eingebauten Schrank; als er wieder
auftauchte, hielt er ein paar zirka vier Fuß breite
Papierrollen in der Hand, die er aufrollte und auf dem Tisch
ausbreitete. Zum Vorschein kam eine aus vier Einzelblättern
bestehende Karte, die das Signet von Beer und Mordler trug.
»Anhand dieser schönen Mappa Selenographica«,
verkündete Traveller, »mit der ich Teleskopbeobachtungen
jenseits der Atmosphäre anstelle, werde ich eine Analogie zu den
polzentrierten Weltkarten des Tisches anfertigen. Eine kleine
Justierung der Mechanik, und der Tisch wird uns auch beim Anflug auf
unseren Zielpunkt gute Dienste leisten…«
    Traveller strahlte ob dieser erneuten Präsentation seines
Erfindungsreichtums, wobei seine Augen auf die Karte fixiert waren.
Holden und ich wechselten indessen Blicke der Verzweiflung und
schauten dann stumm auf die Karte hinab. In diesem Moment schienen
die Sorgen und Nöte der Erde in der Tat sehr weit entfernt; denn
diese ›Mappa‹ zeigte die leblosen Meere und luftlosen Berge
der Welt, auf die wir anscheinend unaufhaltsam zusteuerten: Es war
eine Karte des Mondes.

 
9

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Im Schatten des Mondes
     
     
    Bei einer Reisegeschwindigkeit von mehreren hundert Meilen pro
Stunde benötigte die Phaeton zwanzig Tage für den
Flug von der Erde zum Mond.
    Am achtzehnten Tag ging ich zu Traveller auf die Brücke. Der
Mond stand frontal vor dem Schiff, so daß er direkt über
der Glaskuppel der Brücke hing. Wir hatten uns der Schwesterwelt
bereits so weit genähert, daß sie fast schon nicht mehr in
ihrer Gesamtheit überblickt werden konnte, und je weiter wir uns
ihr näherten, desto flacher und detaillierter schien die
Landschaft des Mondes über uns zu werden. Aber es war eine
fremdartige, invertierte Landschaft. Mondberge mit
rasiermesserscharfen Graten hingen wie Stalaktiten oder irreale
Kronleuchter über mir, die Sonnenlicht gespenstisch ins Innere
der Kuppel projizierten. Meine an irdische Verhältnisse
gewöhnte Perspektive weigerte sich zu akzeptieren, daß ich
kopfüber über dem Mond hing; es war, als ob diese Berge,
diese Mondmeere in Gestalt von Staubschüsseln, diese mit Kratern
übersäten und von weißen Lichtstrahlen erhellten
Ebenen mir auf den Kopf fallen würden.
    Ich schaute zum Navigationstisch hinunter, den Traveller nun von
Erd- auf Mondansicht umgerüstet hatte. Der mit Fähnchen
abgesteckte Pfad der unglücklichen Phaeton hatte
zunächst am Satelliten der Erde vorbeigeführt; nun
schwenkte er elegant zum Mond ein, so daß das Schiff, wenn
alles störungsfrei ablief, in eine Umlaufbahn um den Mond gehen
würde. Zuerst hatte ich angenommen, daß diese
Kursänderung durch das Feuern unserer Raketen verursacht worden
wäre, aber Traveller sagte, die Raketen hätten nur einen
leichten Schub in die erforderliche Richtung bewirkt; weitab vom
Schwerefeld der Erde wurden wir nun von der Gravitation der

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