Anti-Eis
Erde haben; wenn das der Fall
wäre, würden seine Berge und Täler nämlich unter
einer wirbelnden Decke aus Wolken und Dunst verborgen liegen. Und die
geringere Gravitation, so vorteilhaft sie in anderer Hinsicht
für uns auch ist, kann überhaupt keine dichte
Atmosphäre binden. Aber es ist sicher nicht völlig
ausgeschlossen, daß wir in den tieferen Tälern Lufttaschen
finden oder daß sogar die gesamte Oberfläche von einer
dünnen Atmosphäre bedeckt wird.
Außerdem müßt Ihr berücksichtigen, daß
wir nur eine Seite des Mondes betrachten. Der Satellit umkreist die
Erde nämlich mit einer verschämt abgewandten Seite. Selbst
von diesem Beobachtungspunkt aus haben wir die verborgene Hälfte
noch nicht gesehen, Ned! Wer weiß, was wir da vielleicht
finden?«
»Krater und Berge und Staubmeere.«
»Mr. Wickers, Euer Verstand gleicht einer verschrumpelten
Pflaume, vertrocknet und hart. Was, wenn die Theorien von Hansen sich
bestätigen sollten? He?« Wie ich erfuhr, war Hansen ein
dänischer Astronom, der postuliert hatte, daß der Mond
durch die Schwerkraft der Erde zu einem Ellipsoiden gedehnt und die
Erde mit dem abgewandten dickeren Ende umkreisen würde.
Außerdem soll sich über dieser schwereren Hemisphäre
eine dichte Atmosphäre gebildet haben, die sich dem Blick
neugieriger Astronomen indes gewitzt entzog.
»Nun, Sir Josiah«, kommentierte ich, »das muß
man erst mal abwarten.«
Er schnaufte wieder. »Gesprochen wie ein zaghafter
Wissenschaftler, Junge. Ihr müßt lernen, wie ein Ingenieur
zu denken! Für einen Wissenschaftler ist nichts bewiesen,
solange es nicht von vorne bis hinten demonstriert worden ist, vor
den Augen eines Dutzend seiner in mausgraue Anzüge gekleideten
Kollegen. Mich hingegen interessiert es nicht, ob eine Theorie
richtig oder falsch ist; ich frage mich vielmehr, was ich damit
anfangen kann.«
»Sir Josiah, Ihr wolltet meine Bedenken mit drei Argumenten
widerlegen. Wo ist das dritte?«
Nun verrenkte er sich in seinem Sessel und reckte den Hals; sein
deformiertes Gesicht, dessen eine Hälfte vom Mondlicht als
Silhouette abgebildet wurde, verriet lebhafte Erregung. »Ach,
Ned, das dritte Argument ist schlicht das: Ob wir nun leben oder
sterben, welch ein Spaß wird es sein, einen Spaziergang
zwischen den Bergen des Mondes zu machen!«
Ich schaute zu der lebensfeindlichen Welt hoch, die sich langsam
über mir drehte, und wünschte, ich könnte die
jugendliche Begeisterung aufbringen, Travellers Enthusiasmus für
das Exotische und Spektakuläre zu teilen; aber in diesem Moment
hätte ich all meine erstaunlichen Erfahrungen dafür
gegeben, wieder sicher in der gemütlichen Bar eines Clubs in
Manchester zu sitzen.
Nach der Aufregung um die Rückeroberung der Brücke war
wieder die alte Routine eingekehrt – mit der Ausnahme, daß
der arme Bourne nun als stummes und mürrisches Gespenst auf
einem Stuhl in der Kabine saß –, und die restlichen
Stunden unserer Reise vergingen wie im Fluge.
Und schließlich erwachte ich wie immer mit dem angenehmen
Duft von Pockets Toast und Tee in der Nase und wußte sofort,
daß dies der zwanzigste Tag unseres Fluges war – der Tag,
an dem Sir Josiah Traveller das Schiff entweder auf der
Oberfläche des Mondes landen oder uns alle in den Tod schicken
würde!
Traveller hatte uns gesagt, daß wir gegen acht Uhr morgens
landen würden; und so weckte Pocket uns schon um fünf,
etwas früher als üblich. Wir wuschen uns schnell und
genossen ein kräftiges Frühstück. Traveller bestand
darauf, obwohl ich kaum einen Bissen hinunterbekam. Ich fütterte
Bourne und gestattete ihm eine Katzenwäsche. Pocket kletterte
durch die Luke, um Traveller das letzte Frühstück auf
seinem Posten auf der Brücke zu bringen.
Nachdem wir das Mahl beendet und die Reste hastig beseitigt
hatten, bereiteten wir uns auf die Landung vor. Traveller hatte uns
erklärt, daß um sieben Uhr zehn ein starker Schub der
Raketen einsetzen würde, der uns auf eine Flugbahn bringen
sollte, die uns unweigerlich zur Mondoberfläche führen
mußte.
Ich überzeugte mich, daß Bourne die Sicherheitsgurte
richtig angelegt hatte. Auch waren die Hände und Füße
des Franzosen mit Ledergurten zusammengebunden; bleich und
offensichtlich verängstigt wandte er den Blick mit einem Anflug
von Trotz ab. Ich stieß mich von ihm ab, erreichte meinen Platz
und schnallte mich an – und dann, mit einem Fluch, schwebte ich
erneut durch die Kabine und lockerte mit vor Zorn steifen Fingern
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