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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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gleichen Substanz besteht wie
die Ideen. Nur durch diese ontologische Homologie kann er mit den Ideen in Kontakt treten.
    In Kritik der reinen Vernunft definiert Kant das Noumenon als ein Ding, »welches gar nicht als Gegenstand des Sinnes, sondern als ein Ding an sich selbst, (lediglich durch einen reinen Verstand) gedacht werden soll« (Transzendentale Analytik, II. Buch, III. Hauptstück, B 310). Diese Begriffsbestimmung setzt den Möglichkeiten der vernünftigen Erkenntnis und der Kühnheit einer zu kritischen Vernunft Grenzen: »Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken« (ebd.). In gewisser Weise ist das Noumenon die Polizei der kritischen Vernunft, da es deren Tun in den von Kant gesteckten Grenzen hält. Für den preußischen Lutheraner Kant musste die kritische Vernunft zwar frei sein, aber sie musste die Freiheit, die Unsterblichkeit der Seele und Gott aussparen, die nämlich Postulate der reinen Vernunft sind und ohne die eine christliche Welt unmöglich ist. Das Noumenon ist also ein antimaterialistisches Kriegsgerät.
    Aus diesen guten intellektuellen Gründen gehört Freud, welcher der Welt der Erscheinungen und Labore den Rücken gekehrt hatte, zu einer philosophischen Tradition, obwohl er die Philosophie doch angeblich verabscheute. Er spielte nicht ohne Grund auf das Noumenon in Kants Vernunftkritik an, denn dies war das beste Argument im Kampf gegen Empirismus, Sensualismus, Materialismus und Pragmatismus, die jede ordentliche wissenschaftliche Reflexion leiten. So liest man ohne Erstaunen in Nietzsches Götzendämmerung unter der Rubrik »Streifzüge eines Unzeitgemässen«, er »trage es den Deutschen nach, sich über Kant und seine ›Philosophie der Hinterthüren‹, wie ich sie nenne, vergriffen zu haben – das war nicht der Typus der intellektuellen Rechtschaffenheit.« (§ 16)
    Der Bezug auf Kants Noumenon verbietet jede wissenschaftliche Arbeitsweise, denn wir bewegen uns damit auf dem Gebiet der theologischen Epistemologie – man möge mir dieses fürchterliche
Oxymoron verzeihen. Freud konnte so den »wissenschaftlichen Mythos« und den »historischen Roman« vertreten oder Ferenczi brieflich mit der »Aufeinanderfolge von kühn spielender Phantasie und rücksichtsloser Realkritik« (Freud/Ferenczi, Briefwechsel, Bd. II/1, S. 116) unterhalten. Doch obwohl er sich solcher ätherischer Formulierungen bediente, regte er sich über Krafft-Ebing auf, der sein Exposé zur sexuellen Ätiologie der Neurosen als wissenschaftliches Feenmärchen bezeichnete.
     
    Indem Freud das Noumenon zur Definition des Unbewussten nutzte, offenbarte er, worum es ihm ging: Es handelte sich dabei um einen Baustein innerhalb der psychoanalytischen Konstruktion, der wissenschaftlich nicht erfasst werden konnte. Die Wissenschaft setzt eine experimentelle Methodik voraus, die auf Beobachtung, mithin unter Einsatz der fünf Sinne, des Körpers, des Gehirns und der Intelligenz basiert. Wissenschaftlichkeit bedeutet: betrachten, beobachten, Experimente wiederholen, erneut betrachten und beobachten, deduzieren; Hypothesen erproben; eine Vorgehensweise zu deren Überprüfung festlegen; lange, geduldige Untersuchungen im Labor oder in der Klinik durchführen; mit einer Arbeitsgruppe zusammenarbeiten und Ergebnisse vergleichen. Das Register des Noumenons begnügt sich dagegen mit performativen Äußerungen, die der Linguist J. L. Austin als Äußerungen definiert, mit denen man zugleich Handlungen vollzieht. Anders gesagt: Indem Freud vom Unbewussten sprach, erschuf er es. Die magische Schöpfung einer Welt durch bloße Äußerungen beschreibt exakt Freuds Methode: Er sagt etwas, und das Gesagte existiert.
    Auf den 6000 Seiten von Freuds Gesamtwerk sucht man vergeblich nach einer klaren und präzisen Definition des Unbewussten. Freud erinnert hier an die Anhänger einer negativen Theologie, für die das Sprechen über Gott dessen Schwächung gleichkommt, und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Benennung einer Eigenschaft den Ausschluss der entgegengesetzten Eigenschaft
bedeutet und man sich keinen Gott vorstellen kann, dem auch nur eine einzige Eigenschaft fehlt. So verbietet sich jede Beweisführung. Nach diesem Prinzip verhinderte Freud von vornherein, aus methodologischer Sicht hinterfragt zu werden.
    In »Selbstdarstellung«, dem Meisterwerk autobiographischer Legendenbildung, greift Freud allen potentiellen Einwänden vor: »Ich habe wiederholt

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