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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nicht mehr metaphorisch, fiktiv, allegorisch oder mathematisch, sondern substanziell, konkret und materiell.
    1926 erschien Die Frage der Laienanalyse, die in ähnlichem Tenor fortfuhr und die Triebe im körperlichen Ich verortete, als physiologische Bedürfnisse, die befriedigt werden wollten. Denn Freuds Vitalismus war hedonistisch: Die Triebe strebten nach Befriedigung; Frustration, Verdrängung oder Stagnation sollten zugunsten des Lustprinzips vermieden werden. Die Triebe neigen von Natur aus dazu, Begierden nachzugeben und so Spannung abzubauen. Bei diesem Prozess entsteht Lust. Umgekehrt baut sich laut Freud durch eine nicht erfüllte Begierde Spannung auf. Und erneut legte er diesen Mechanismen eine biologische Basis zugrunde.
    Schließlich lokalisierte er 1938 in seinem letzten Buch, Abriß der Psychoanalyse, die Psyche im Gehirn und im Nervensystem: »Von dem, was wir unsere Psyche (Seelenleben) nennen, ist uns zweierlei bekannt, erstens das körperliche Organ und Schauplatz desselben, das Gehirn (Nervensystem), andererseits unsere Bewusstseinsakte, die unmittelbar gegeben sind und uns durch keinerlei Beschreibung näher gebracht werden können.« (Bd. XVII, S. 67) So beginnt das Buch, das wegen Freuds Tod unvollendet blieb.
    Zwischen 1900 und 1938 hinterließ Freud also einige Spuren,
anhand derer sich sein – über die Jahre unveränderter – Vitalismus rekonstruieren lässt. Der Widerspruch zwischen seiner Theorie, das Unbewusste sei bestimmend für den Menschen, obwohl unsichtbar, und der These, letztlich basiere die Psyche unleugbar auf der Biologie, brachte Freud in eine unbequeme Lage. Diese Ambivalenz durchzieht sein gesamtes Werk, doch sie tritt nur punktuell und vorübergehend zutage, während die Theorien über eine vom Körper, dem Keimplasma, den Neuronen oder dem Gehirn losgelöste immaterielle Psyche fast den gesamten Raum einnimmt. Wie ist es zu erklären, dass Freud das Somatische als grundlegend betrachtete und sich doch ganz auf das Psychische konzentrierte?
    Freud war kein guter Diagnostiker. Eine Anekdote in »Selbstdarstellung« erzählt, wie er als junger Arzt über die organischen Erkrankungen des Nervensystems forschte und präzise bestimmte Gebiete im Gehirn lokalisieren konnte. Er berichtete, dadurch zu einigem Ansehen unter Kollegen gelangt zu sein. Es hätten sogar amerikanische Mediziner bei ihm studiert, die er auf Englisch unterrichtet hätte. Doch eines Tages stellte er eine falsche Diagnose und hielt eine Neurose für eine Meningitis.
    Doch Freud flankierte derlei Eingeständnisse immer mit relativierenden Informationen: »Zu meiner Entschuldigung sei bemerkt, es war die Zeit, da auch größere Autoritäten in Wien die Neurasthenie als Hirntumor zu diagnostizieren pflegten.« ( »Selbstdarstellung«, Bd. XIV, S. 37) Nach der Falschdiagnose wandten sich einige von ihm ab. War dieses Ereignis etwa der Auslöser für seine Entscheidung, die Neurosen bei Charcot genauer zu studieren? Immerhin reiste er kurz nach der Falschdiagnose nach Paris. Lag in diesem persönlichen Scheitern der Grund für seine Abkehr vom Somatischen und für die Hinwendung zum rein Psychischen?
     
    Dass Freud nicht alle psychischen Vorgänge verstand, bedeutete nicht, dass er sich in den körperlichen besser auskannte. Tatsächlich
war ihm klar, dass ihm einige schwerwiegende medizinische Fehler unterlaufen waren: die Begeisterung für das Kokain und der darauffolgende Tod seines Freundes; seine Versuche mit der Elektrotherapie, sein Liebäugeln mit der Hypnose, für die er keine Begabung hatte, und seine grauenvolle Therapie mit der Harnröhrensonde. Hinzu kamen traumatische Erfahrungen wie der Fall Emma Eckstein oder ein Ereignis, das ich den Fall Mathilde nennen möchte.
    Freud beschrieb es in der Traumdeutung als »trauriges ärztliches Erlebnis« ( Die Methode der Traumdeutung, Bd. II/III, S. 116). Er hatte sich bei der Medikation geirrt, und die junge Frau war deshalb verstorben. Zu seiner Verteidigung brachte Freud vor, er habe die Substanz regelmäßig verschrieben und deren giftige Wirkung sei damals nicht bekannt gewesen. Er leugnete also seinen Fehler, zeigte keinerlei Reue oder Mitleid und unterstellte statt der körperlichen eine magische, rein psychische Todesursache.
    Er schrieb dazu: »Die Kranke, welche der Intoxikation erlag, führte denselben Namen wir meine älteste Tochter. Ich hatte bis jetzt niemals daran gedacht; jetzt kommt es mir beinahe wie eine Schicksalsvergeltung vor.

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