Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
(ebd., S. 402) fest und entwickelte seine Theorie dennoch ohne Berücksichtigung der Biologie, um die eigene Urteilsbildung nicht zu beeinflussen. Schließlich bekannte er dann doch: »Nach vollzogener psychoanalytischer Arbeit müssen wir aber den Anschluß an die Biologie finden« (ebd., S. 410). Wenn das keine klaren Leitsätze sind!
Es wäre schön gewesen, wenn Freud ihnen auch bei seinen berühmten Fallanalysen gefolgt wäre. Doch leider setzte er dort auf die reine Redekur und folgte einer rein symbolisch-fantastischen Ätiologie. Emma Ecksteins Fall, auf den ich noch zurückkommen werde, scheint exemplarisch für diese Abwendung vom Körperlichen und die äußerst eigenwillige, wenn nicht gar sture Polarisierung, die nur rein psychische Mechanismen in Betracht zog. Freud entwickelte eine genaue und richtige Theorie, setzte sie aber in der Praxis nicht um.
Im folgenden Jahr konnte man in Zur Einführung des Narzißmus lesen, »daß all unsere psychologischen Vorläufigkeiten [ sic ] einmal auf den Boden organischer Träger gestellt werden sollen.« (Bd. X, S. 144) Zudem gestand Freud ein, »daß die Annahme gesonderter Ich- und Sexualtriebe, also die Libidotheorie, zum wenigsten auf psychologischem Grunde ruht, wesentlich biologisch gestützt ist.« (ebd.) Er konstruierte seine Thesen also stets im Rahmen einer Dialektik und glaubte an eine Bewegung der Theoriebildung hin zu Physiologie, Anatomie und des somatischen anstelle des psychischen Körpers.
1915 berief er sich in Das Unbewußte auf die Biologie, um seine Triebtheorie zu untermauern. Wie wir gesehen haben, ermöglichte ihm die Plasmatheorie, die Triebe in einen Zusammenhang
mit Fortbestand und Reproduktion der Spezies zu stellen. Er beschäftigte sich mit den »Beziehungen des seelischen Apparates zur Anatomie« (Bd. X, S. 273), denn: »Es ist ein unerschütterliches Resultat der Forschung, daß die seelische Tätigkeit an die Funktion des Gehirns gebunden ist wie an kein anderes Organ.« (ebd.) Die Verortung der psychischen Aktivität im Gehirn geschah nicht aus strukturellen, sondern aus konjunkturellen Gründen. Folgt man diesem Text von Freud, wäre eines Tages eine konkrete Verortung denkbar, die schon bald eine Visualisierung des Unbewussten durch bildgebende Verfahren ermöglichen könnte. Dennoch entschied Freud: »Unsere psychische Topik hat vorerst [ sic ] nichts mit der Anatomie zu tun« (ebd.) – vorerst und nicht endgültig! Das ist so zu verstehen, dass die psychische Topik zwar metaphorisch ist, eines Tages aber durchaus anatomisch werden könnte.
Jenseits des Lustprinzips (1920) behandelt die Frage des Todestriebs in biologischer Hinsicht. In diesem hochphilosophischen psychoanalytischen Text sah Freud Protozoen, Pantoffeltierchen, Aufgusstierchen und andere Einzeller als von einer Art Nirwanaprinzip beseelte Wesen, die zeigten, dass das Leben letztlich in den Zustand vor dem Leben zurückstrebe, nämlich ins Nichts. Für diese neue Theorie machte der psychoanalytische Philosoph – oder philosophierende Psychoanalytiker – »Anleihen bei der biologischen Wissenschaft« (Bd. XIII, S. 65). Denn: »[W]ir haben die überraschendsten Aufklärungen von ihr zu erwarten und können nicht erraten, welche Antworten sie auf die von uns an sie gestellten Fragen einige Jahrzehnte später geben würde.« (ebd.) Nämlich: »Vielleicht gerade solche, durch die unser ganzer künstlicher Bau von Hypothesen umgeblasen wird.« (ebd.) Die Psychoanalyse barg also gegenwärtige Wahrheiten, doch nach Freuds eigener Aussage würde sie in der Zukunft vielleicht von der Biologie abgelöst.
Drei Jahre später schrieb Freud in Das Ich und das Es, das Ich sei »vor allem ein körperliches« (Bd. XIII, S. 253), und fuhr fort: »Auf Grund theoretischer, durch die Biologie gestützter Überlegungen
supponierten wir einen Todestrieb, dem die Aufgabe gestellt ist, das organische Lebende in den leblosen Zustand zurückzuführen, während das Eros das Ziel verfolgt, das Leben durch immer weitergreifende Zusammenfassung der in Partikel zersprengten lebenden Substanzen zu komplizieren, natürlich es dabei zu erhalten.« (ebd., S. 268 f)
Freud war nie so sehr Vitalist wie auf diesen Seiten, wo er »jedem Stück lebender Substanz« (ebd., S. 269) einen Lebens-und Todestrieb attestierte. Weiter überlegte er, ob »eine Substanz die Hauptvertretung des Eros übernehmen könnte.« (ebd.) Er schrieb dem Lebens- und Todestrieb eine Körperlichkeit zu. Damit waren sie
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