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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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seien nicht erblich. Weismann ging davon aus, dass sich mehrzellige Organismen aus Keimzellen zusammensetzen, welche die Erbinformation enthalten, sowie aus somatischen Zellen, welche für die Körperfunktionen zuständig sind. Erstere werden weder von erworbenen körperlichen Fähigkeiten noch von Erlerntem beeinflusst. Sie können das Erlernte also nicht auf nachfolgende Generationen übertragen.
    Diese These findet sich auch bei Freud, etwa in Triebe und Triebschicksale, wo es heißt, das Individuum sei »ein zeitweiliger und vergänglicher Anhang an das quasi unsterbliche Keimplasma […], welches ihm von der Generation anvertraut wurde.« (Bd. X, S. 218) Das Individuum existiert also doppelt: als endliches Wesen und als Glied in einer langen Kette. Schoppenhauer würde es so ausdrücken: Es existiert als Vorstellung und als Wunsch; man könnte auch sagen, es existiere als eigenes Individuum im gängigen Sinn und als Teil der Menschheit. Im ersten Fall ist es sterblich, im zweiten auf gewisse Weise unsterblich.
    Freud unterschied die »Ichtriebe« und die »Sexualtriebe«. Die einen sichern unsere individuelle Existenz, die anderen den Fortbestand der Spezies. Es gibt bei Freud also ein unsterbliches Keimplasma, das ungefähr Schopenhauers Willen oder Nietzsches Willen zur Macht entspricht, wenn nicht gar Eduard von Hartmanns Unbewusstem, und das jeder von uns während seines kurzen Lebens in sich trägt. Und es gibt ein sterbliches Keimplasma, das in dem Moment vergeht, in dem auch wir abtreten. Anders ausgedrückt  – und zwar mit Kants von Schopenhauer korrigiertem und von Freud interpretiertem (!) Vokabular: Es gibt ein noumenales und ein phänomenales Keimplasma oder, um es platonisch zu formulieren, ein intelligibles und ein intellektuelles Keimplasma.
    Als überzeugter Idealist ging Freud davon aus, dass wir zum einen aus einem sterblichen Soma bestehen, das auf den Körper, die geschlechtliche und vererbbare Substanz begrenzt ist, und zum anderen aus einem unsterblichen Keimplasma, das der Arterhaltung
dient. In Das Ich und das Es schrieb er: »Die Abstoßung der Sexualstoffe im Sexualakt entspricht gewissermaßen der Trennung von Soma und Keimplasma.« (Bd. XIII, S. 276) Das hätte man wahrscheinlich so nicht vermutet, aber hier steht es … Auf diese Weise erklärte sich für Freud auch die Analogie zwischen dem Tod und dem »kleinen Tod« und anderen gängigen Metaphern für die Ejakulation.
    Freuds Lehre ist also ein durch prononcierten Panpsychismus geprägter Vitalismus, denn Freud machte sich rein gar nichts aus Körper, Fleisch, Nerven oder Neuronen, sondern richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Libido und die Triebe; er errichtete sein gesamtes Theoriegebäude auf dem Unbewussten, und nur durch die genaue Lektüre einiger im Gesamtwerk versteckter Sätze erkennt man die zugrunde liegende klassische vitalistische Lehre. Zwar stehen bei Freud das Unbewusste, die Libido, die Triebe und andere metaphorisch umschriebene psychische Kräfte am Ursprung von allem, doch am Ursprung dieses Ursprungs befindet sich – das Somatische! Die letzten Zeilen von Die endliche und die unendliche Analyse verkünden: »[F]ür das Psychische spielt das Biologische wirklich die Rolle des unterliegenden gewachsenen Felsens.« (Bd. XVI, S. 99)
    In Freuds gesamtem Werk stößt man immer wieder auf diese Anerkennung der Entstehung des Psychischen aus dem Somatischen. Gehen wir auf die Suche: 1905 behandelte Freud in Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie die Entstehung der sexuellen Identität und verwies in diesem Zusammenhang auf bestimmte Verbindungen »im Organismus« (Bd. V, S. 109). Hier war plötzlich keine Rede mehr von Algorithmen, algebraischen Unbekannten oder literarischen, fotografischen und optischen Metaphern. Er gab zu, den Ursprung der sexuellen Erregung nicht genau zu kennen, erwähnte aber das Wirken »besonderer, dem Sexualstoffwechsel entstammender Stoffe« (ebd., S. 117) und sprach von einer Art sexueller Chemie.
    1913 schrieb er in Das Interesse an der Psychoanalyse: »Doch
wäre es ein arger Irrtum, wollte man annehmen, daß die Analyse eine rein psychologische Auffassung der Seelenstörungen anstrebt oder befürwortet. Sie kann nicht verkennen, daß die andere Hälfte der psychiatrischen Arbeit den Einfluß organischer Faktoren (mechanischer, toxischer, infektiöser) auf den seelischen Apparat zum Inhalt hat.« (Bd. VIII, S. 401 f) Freud stellte »ein unzweifelhaft organisches Moment«

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