Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Überschneidungen zwischen Psychoanalyse und Okkultismus: Beide würden von den Institutionen verachtet, stünden in dem schlechten Ruf, das Mystische zu pflegen, würden von der offiziellen Wissenschaft nicht für voll genommen und beschäftigten sich mit den »dunkeln aber unzerstörbaren Ahnungen des Volkes« (Bd. XVII, S. 28). So kam der Wiener Philosoph zu dem Schluss: »Eine Allianz und Arbeitsgemeinschaft zwischen Analytikern und Okkultisten erschiene ebenso naheliegend wie aussichtsvoll.« (ebd.) Damit war er doch mindestens so aufklärerisch wie Voltaire!
Natürlich kam dieses kleine Meisterwerk sophistischer Rhetorik letztlich zu dem Ergebnis, eine gemeinsame Entwicklung beider Bereiche sei doch nicht praktikabel. Der Briefwechsel bestätigt
diese Haltung: Freud wusste, das ein klares Bekenntnis zu den Gemeinsamkeiten mit den Okkultisten aus strategischen Gründen unklug war und die Psychoanalyse ein für allemal diskreditiert hätte. In seinen veröffentlichten Schriften distanzierte er sich deshalb stets von ihnen oder gab sich neutral. Dennoch sprach er zuweilen von »telepathischen Vorkommnisse[n] [ sic ]« ( Traum und Telepathie, Bd. XIII, S. 165) und thematisierte »die unbestrittene Begünstigung der Telepathie durch den Schlafzustand« (ebd., S. 190). Wer sich distanzieren oder neutral bleiben möchte, sollte sich vielleicht etwas vorsichtiger ausdrücken.
An Eduardo Weiss schrieb Freud am 24. April 1932 zum gleichen Thema: »Mein Standpunkt ist nicht der der hochmütigen Abweisung a limine. […] Ich bin allerdings bereit zu glauben, daß hinter allen sogenannten okkulten Phänomenen doch etwas Neues und sehr Wichtiges steckt. Die Tatsache der Gedankenübertragung, d. h. der Fortpflanzung psychischer Vorgänge durch den freien Raum auf andere Individuen. Dafür anerkenne ich Beweise aus Beobachtungen im Tageslicht und gedenke mich auch noch öffentlich darüber zu äußern. Für Ihre Rolle als Pionier der Analyse in Italien wäre es natürlich ungünstig, wenn man Sie gleichzeitig als Parteigänger des Okkultismus nennen würde.« (Freud/ Weiss, Briefe zur psychoanalytischen Praxis, S. 80)
Den Okkultismus beschäftigt demnach die gleiche Frage wie die Psychoanalyse, nämlich die Übertragung von Gedanken und anderen Vorgängen im Raum. Freud stützte seine These auf Experimente, die er, wie bereits erwähnt, mit seiner Tochter Anna durchgeführt hatte. Karl Abraham berichtete er am 9. Juli 1925 von deren »telepathische[m] Feingefühl« (Freud/Abraham, Briefe, S. 360). Hätte er sich aber zum Okkultismus bekannt, wäre das einem Mord an der Psychoanalyse gleichgekommen.
Andere Briefe unterstreichen Freuds jesuitische Taktik: Okkultismus ja, Okkultisten nein, denn über dieses Thema könnten Psychoanalytiker viel besser sprechen, und zwar wegen ihrer Wissenschaftlichkeit! Der Grundtenor blieb der gleiche: »Die Zurückhaltung
eines Psychoanalytikers von öffentlicher Beteiligung an okkulten Studien ist eine rein praktische Vorsichtsmaßregel von zeitlicher Begrenztheit [ sic ], kein Ausdruck einer prinzipiellen Stellungnahme. Verächtliche Ablehnung dieser Studien ohne Erfahrung, hieße wirklich das klägliche Beispiel unserer Gegner nachahmen.« (Freud/Weiss, Briefe zur psychoanalytischen Praxis, S. 81)
Der ehrliche Ton aus den Briefen kontrastiert mit den äußerst diplomatischen Formulierungen in jenen Texten, die sich speziell mit diesen Fragen beschäftigen – nämlich Psychoanalyse und Telepathie (1921) sowie Traum und Telepathie (1922). Als gewiefter Taktiker wusste Freud um die Notwendigkeit, sich zu distanzieren, wollte er – nicht nur unter Wiener Intellektuellen – weiterhin salonfähig bleiben. Offiziell argumentierte er deshalb, die Psychoanalyse sei eine Wissenschaft.
In Psychopathologie des Alltagslebens fragte Freud nach der Bedeutung okkulter Ereignisse. Was verbarg sich hinter Gedankenübertragung, Telepathie und anderen Formen »übersinnlicher Kräfte« (Bd. IV, S. 289)? Waren sie reine Fantasieprodukte? Freuds Antwort lautete: »Ich bin nun weit davon entfernt, diese Phänomene überall so kurzerhand aburteilen zu wollen, über welche so viele eingehende Beobachtungen selbst intellektuell hervorragender Männer vorliegen« (ebd.). Nun können wir unsere Vorurteile über Bord werfen, denn die okkulten Ereignisse wurden hiermit bestätigt; es handelte sich keineswegs um pure Fantasieprodukte. Die okkulte Wirklichkeit war also Freuds wissenschaftlicher Gegenstand.
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