Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
hier fehlte, waren natürlich entsprechende Studien und Analysen – durchaus keine vorurteilsbehafteten Schmähschriften, sondern objektive Einschätzungen. Freud hinterfragte okkulte Vorkommnisse nicht, sondern versuchte sie zu verstehen, und so war seine Welt durchaus mit der der Okkultisten kompatibel. Lesen wir weiter: »Wenn noch andere, wie z. B. die von den Spiritisten behaupteten Phänomene, erweisbar werden sollten, so
werden wir eben die von der neuen Erfahrung geforderten Modifikationen unserer ›Gesetze‹ vornehmen, ohne an dem Zusammenhang der Dinge in der Welt irre zu werden.« (ebd., S. 290) Freud sprach hier tatsächlich von Spiritismus, also der Beschwörung von Geistern.
Freud klammerte den Spiritismus also nicht aus seiner Zauberwelt aus. Wäre er mit ihm verfahren wie mit der monotheistischen Religion, so hätte das ganz anders geklungen. Der sogenannte Aufklärer ließ kein gutes Haar an der Religion im Allgemeinen sowie dem Juden- und Christentum im Besonderen, doch bei Themen wie Telepathie, Gedankenübertragung oder Spiritismus war von solch kritischer Vernunft nichts zu bemerken.
Zum Thema Gedankenübertragung hatte Freud eine klare Meinung, die er Fließ am 8. Mai 1901 kundtat: »Ich bleibe dem Gedankenlesen treu und zweifle [ sic ] weiterhin am ›Zauber‹« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 484). Doch zweifeln ist nicht gleichbedeutend mit völliger Ablehnung: In Das Unbehagen in der Kultur und Die Zukunft einer Illusion zweifelte Freud nicht an der Religion, sondern lehnte als bekennender Atheist jeden Glauben an ein Jenseits ab.
Und Freud versuchte seinen Glauben an den Okkultismus wissenschaftlich zu untermauern. Er behauptete, Gedanken würden in Form materieller Wellen übertragen. Das ist zunächst nicht zu widerlegen, doch über deren Eigenschaften oder die Frage, wie ein Gedanke sich wellenartig im Raum von einem Sender zu einem Empfänger bewegen, unbeschadet dort ankommen und verstanden werden kann, äußerte er sich nicht.
Freuds Argumentation wirkt zunächst in jeder Hinsicht wissenschaftlich; auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass sie rein performativ ist. Er präzisierte, zur Telepathie bedürfe es der Empathie, des Wunsches zur Kommunikation mit dem Gegenüber. Darüber hinaus müsse der Gegenstand der Telepathie ein unschönes Ereignis wie ein Unfall, ein Trauerfall oder ein Trauma sein. Weshalb das so war, verschwieg er. Es war eben so.
In seinem Leben hatte Freud mehrere okkulte Erlebnisse, und zwar neben Gedankenübertragung und Telepathie auch diese: Er hörte seinen Namen, ohne dass ein Sprecher anwesend war; er träumte vom Tod seines Sohnes an der Front; er schrieb jemandem einen Brief und glaubte dabei, unter dem Einfluss einer telepathischen Kraft aus Ungarn zu stehen – in Gestalt von Ferenczi, der übrigens selbst behauptete, telepathisch kommunizieren zu können, und zwar mit Übersee. Freud befragte regelmäßig Freunde und Bekannte, was sie zu diesem oder jenem Zeitpunkt gedacht oder getan hätten, zu dem er jeweils eigentümliche Vorkommnisse bemerkt haben wollte.
Als er zum Beispiel versehentlich seinen Verlobungsring zerbrach, verfiel der zukünftige Autor von Psychopathologie des Alltagslebens regelrecht in Panik. Er, der glaubte, alles und jedes bedeute etwas und verweise auf die Zauberwelt der Psyche, der noch dem kleinsten Detail universelle Bedeutung zuschrieb, der hinter einer zerbrochenen Vase oder einer falsch geknöpften Jacke ganze Lebensgeschichten vermutete und ein kurzes Zögern beim Sprechen als Hinweis auf einen allen anderen unbekannten Zusammenhang deutete, durchlitt in solchen Momenten die gleichen Ängste wie seine Patienten.
Am 26. August 1882 fragte er Martha in einem Brief, ob sie genau in dem Moment, in dem der Ring zerbrochen war, weniger Liebe für ihn empfunden oder sich gelangweilt habe oder ob sie ihm gar untreu gewesen sei! Anscheinend hatte er keine Bedenken, sich lächerlich zu machen, als er fortfuhr: Er selbst habe keinerlei Ängste gehegt angesichts des zerbrochenen Rings, habe zu keinem Zeitpunkt an der Verlobung gezweifelt oder Sorge gehabt, dass er – welch absurde Idee! – seinen Platz in ihrem Herzen verloren habe. Doch weshalb hatte er ihr zuvor all diese Fragen gestellt? Martha jedenfalls antwortete, sie habe in jenem Augenblick Kuchen gegessen. Freuds Unbewusstes musste sich also nicht weiter beunruhigen!
Für jene, die es noch nicht verstanden haben sollten, sagen wir es in aller Deutlichkeit:
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