Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Freud war abergläubisch, was sich mit Wissenschaftlichkeit und Rationalität schlecht verträgt. Wie so häufig finden sich zahlreiche Beweise dafür in den Briefen an Fließ. Zum Beispiel diese Episode: Im Harz gab es einen Brauch, mit dem Unglück abgewendet werden sollte. Dazu malte man mit Kreide drei Kreuze über die Tür. Freud kannte die Gegend, weil er dort regelmäßig Urlaub machte und sich mit dem sogenannten Geheimkomitee – seinen engsten Anhängern – traf.
Die drei Kreuze tauchen in einigen Briefen an Fließ auf. Zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Thema Frauen (5. November 1899, Briefe an Wilhelm Fließ, S. 420), mit den in der Psychopathologie des Alltagslebens aufgezählten Verboten (8. Mai 1901, ebd., S. 485) – wobei unklar bleibt, auf welche davon sich die Kreuze beziehen – oder mit einem Traum, dessen Inhalt unbekannt bleibt (26. April 1904, ebd., S 505). Außerhalb der privaten Korrespondenz finden sich die Zeichen beispielsweise in einem Brief an C. G. Jung, und auch in Die Traumdeutung kommt Freud an einer Stelle darauf zu sprechen, an der er den Namen seiner an Diphterie erkrankten Tochter Mathilde nicht schreiben wollte in dem Glauben, das könne ihr Unglück bringen!
Sein Aberglaube zeigt sich auch in seiner Begeisterung für die Numerologie. Fließ war ein überzeugter Anhänger der seltsamen Zyklentheorie, nach der jedes Ereignis einer in den Zahlen verborgenen Logik folge. Auch Freud beschäftigte sich mit der Numerologie, wovon lange Listen mit Berechnungen zeugen – so auch im Brief an Fließ vom 1. März 1896, jenem Jahr, in dem Zur Ätiologie der Hysterie erschien. Freud berichtete dort über die ersten Kontraktionen seiner Frau Martha, die mit Anna schwanger war: »Am 3. Dezember war die Geburt. Am 29. Februar trat die Periode wieder ein. Martha ist seit ihrer Pubertät immer regelmäßig gewesen. Ihre Periode beträgt etwas über 29 Tage, sagen wir 29 1/2. Nun sind vom 3. Dezember – 29. Februar 88 = 3 x 29 1/3.
Vom 10. Juli – 3. Dezember sind: 5 x 29 1/5
Für eine Periode von etwas über 29 Tagen ist also die Geburt gerade rechtzeitig erfolgt und die ersten Kindsbewegungen zum fünften Menstruationstermin.« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 185 f).
Und es ist noch weitaus mehr Neurotisches bei Freud zu finden, das sogar ohne Unterstützung durch Fließ’ pseudowissenschaftliche Theorien auskam. Beispielsweise machte Freud sich Sorgen wegen seiner Telefonnummer. Die Telekommunikationsverwaltung in Wien hatte ihm die Nummer »A 1817 O« zugeteilt, von der er fasziniert war, weil sie mit »18« und »17« jene beiden Zahlen enthielt, zu denen er ein besonderes Verhältnis hatte, und weil diese Zahlen von »A« und »O«, nämlich Alpha und Omega, umrahmt waren. Doch zuvor hatte er die Nummer »1 43 62« gehabt, die er als Vorzeichen des nahen Todes interpretiert hatte.
Denn er war »43« Jahre alt, und weil die Traumdeutung gerade
erschienen war – daher die »1« – werde er mit »62« Jahren sterben.
In Panik und Todesangst schrieb er Fließ, er werde mit »51« Jahren sterben. Von der »62« war plötzlich keine Rede mehr. Mit vollem Ernst schrieb er am 22. Juni 1893 an Fließ, er habe die wissenschaftlich nicht begründbare Gewissheit, noch einige Jahre leiden und dann mit vierzig oder fünfzig Jahren an plötzlichem Herzversagen sterben zu müssen.
Rufen wir uns vor diesem Hintergrund in Erinnerung, dass Freud erstens zu diesem Zeitpunkt, nämlich im Juni 1892, bereits seit zehn Jahren in der Berggasse 19 Patienten gegen Honorar behandelte; und dass er zweitens nicht mit 51 Jahren an einem Herzinfarkt starb, sondern mit 83 Jahren nach langem Krebsleiden.
Den blinden Fleck im Auge des anderen sah Freud immer sofort, doch dass ihn selbst ein blinder Fleck an klarer Sicht hinderte, erkannte er nicht. In Psychopathologie des Alltagslebens erklärte er, eine scheinbar zufällig ausgewählte Zahl werde stets vom Unterbewusstsein diktiert. In seiner Zauberwelt gab es keine Zufälle.
Freud wollte seine These mit dem Hinweis auf einen Brief stützen, in dem er über die Müdigkeit berichtete, die ihn bei der leidigen Korrektur des Manuskripts der Traumdeutung befiel. Selbst wenn »2467« ( Psychopathologie des Alltagslebens, Bd. IV, S. 270) Fehler stehen blieben, hätte er nicht mehr die Energie, den Text erneut zu lesen. Wieso gerade »2467«? Die Antwort auf diese Frage gab er selbst, und sie zeugt von jenem magischen Denken, das sein gesamtes Werk
Weitere Kostenlose Bücher