Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
der Philosophie, Professor am Collège de France und Arzt, und eine Psychoanalyse nach Freud, zu der natürlich Jung und Adler zählen, aber auch marxistisch geprägte Freudianer wie Wilhelm Reich und Herbert Marcuse, wenn nicht gar Erich Fromm oder die Daseinsanalyse Ludwig Binswangers, die von einem gewissen Jean-Paul Sartre aufgegriffen wurde.
VI.
Die sophistische Blockade
»Es ist nun einmal so, daß die Wahrheit
nicht tolerant sein kann.«
Sigmund Freud, Neue Folge der Vorlesungen
zur Einführung in die Psychoanalyse (Bd. XV, S. 173)
Was, wenn man Freuds Fiktionen keinen Glauben schenkt? Wenn man kein Anhänger seiner literarischen Psychologie ist? Wenn man an der universellen Gültigkeit des Ödipuskomplexes zweifelt? Wenn man die These ablehnt, jeder Junge begehre seine Mutter sexuell und wolle seinen Vater deshalb symbolisch töten? Wenn man die Vorstellung ablehnt, wir alle hätten dem Geschlechtsakt unserer Eltern beigewohnt, entweder tatsächlich oder aber das Erlebnis sei in Form von Spuren in unserem Unbewussten eingebrannt? Wenn man inzestuöse Neigungen für Einzelphänomene hält, von denen nicht die gesamte Menschheit betroffen ist? Wenn man den Mythos für das Gegenteil von Wissenschaft hält und einen wissenschaftlichen Mythos deshalb für Unfug? Wenn man nicht dem Gedanken anhängt, alle Väter wollten ihre Kinder sexuell missbrauchen? Wenn man die These vom Verzehr des getöteten Vaters durch die Urhorde als geistige Verirrung betrachtet? Wenn man der Überzeugung ist, dass der konkrete Körper bei der Behandlung von Krankheiten wichtiger sein sollte als die These von einem Unbewussten mit dem Charakter des Noumenon, das zudem alle Eigenschaften eines monotheistischen Gottes aufweist? Wenn man die dialektische Kausalität der magischen vorzieht? Wenn man sich mit seinen gesundheitlichen Problemen eher an einen Arzt wendet als an einen Schamanen oder Hexer? Wenn man die Couch für ein modernes Accessoire im alten Theater
der Heilkünstler hält? Wenn man befürchtet, dass der Psychoanalytiker sich mehr um sich selbst und seine Disziplin kümmert als um die Heilung seiner Patienten? Wenn man glaubt, dass ein Konquistador in einer anderen Welt lebt als ein Wissenschaftler? Und wenn man die Psychoanalyse für eine hervorragende Therapie hält, und zwar für ihren Erfinder – und nur für ihn? Dann ist man sehr krank und muss sich dringend auf die Couch begeben.
Freud tat alles, um Zweifel an seiner Theorie zu verhindern, indem seine Lehre sich doktrinär mit dem Widerstand gegen sie auseinandersetzte. So gab es keinen Ausweg aus Freuds allumfassendem und mithin totalitärem Denken. Aus ideologischer Sicht war die psychoanalytische Kaste hermetisch nach außen abgeriegelt. Sie hatte ein Tribunal, vor dem die Gegner verurteilt wurden; das Plädoyer war in der Lehre selbst enthalten; alle Argumente wurden zehnfach vorgetragen und das Schlussplädoyer des Staatsanwalts für das Unbewusste gehörte zum Kern des freudschen Werks.
Freud konstruierte seine Legende also zum einen unter Zuhilfenahme eines persönlichen Plädoyers und indem er ein bestimmtes Bild von sich schuf. Den Grundstein dazu bildeten »Selbstdarstellung« und Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, die der eifrige Schüler Ernest Jones mit einer biographischen Matrize fortschrieb. Sein papiernes Denkmal erzählt das Märchen genauso, wie es vom Meister in dessen autobiographischen Texten niedergeschrieben worden war. Zum anderen gehörte zur Legendenbildung der Aufbau eines Systems der ideologischen Herrschaft über Wien, Österreich, Europa, Amerika und die ganze Welt mithilfe von Kongressen, Verlagshäusern, Zeitschriften, Schülern, geheimen und öffentlichen Organisationen. Die Fäden hielt dabei der Meister selbst in der Hand, der Vater, Gott und Stammesfürst zugleich war. Und seine stärkste Waffe war die sophistische Blockade: Die geringste Kritik an der Psychoanalyse aktivierte eine Argumentationskette, die Freuds Revolutionstribunal für sich nutzte.
Sehen wir uns das Schema eines typischen Plädoyers gegen einen Historiker, der seine Arbeit macht und Wahrheit und Fakten der Legende vorzieht, genauer an. Der Konquistador verfügt ein Jahrhundert nach seiner Reise ins Wunderland des Unbewussten über eine hoch motivierte Armee, die bereit ist, das Königreich der magischen Kausalitäten mit viel Säbelrasseln und einer abgekarteten Dialektik zu verteidigen.
Statten wir dem Arsenal rhetorischer Waffen
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