Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Psychrophor: Er erklärte die Masturbation zur regressiven, also schlechten Sexualität. Die gute Sexualität wiederum verlangte männliche Fähigkeiten, wie sie wohl nur die wenigsten aufzuweisen hatten.
Ungeachtet seiner Theorie, in der Bisexualität gebe es weder das rein Männliche noch das rein Weibliche, vertrat Freud altbekannte Gemeinplätze. In Abriß der Psychoanalyse reflektierte er beispielsweise kritisch die konventionelle Definition: »Wir heissen alles, was stark und aktiv ist, männlich, was schwach und passiv ist, weiblich.« (Bd. XVII, S. 115) Und doch verwendete er sie in einem Text, der seine Erkenntnisse zusammenfasste.
In Der Mann Moses und die monotheistische Religion behandelte Freud auch den Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat und bezeichnete den Wandel als enormen Fortschritt in der Menschheitsentwicklung. Die Weitergabe der Macht von der Mutter zum Vater »bezeichnet überdies einen Sieg der Geistigkeit über die Sinnlichkeit, also einen Kulturfortschritt, denn die Mutterschaft ist durch das Zeugnis der Sinne erwiesen, während die Vaterschaft eine Annahme ist, auf einen Schluß und auf eine Voraussetzung aufgebaut. Die Parteinahme, die den Denkvorgang über die sinnliche Wahrnehmung erhebt, bewährt sich als ein folgenschwerer Schritt.« (Bd. XVI, S. 221 f) Freud hielt am Gegensatz zwischen der sinnlichen, unvernünftigen, von ihren Trieben und ihrer Gebärmutter gesteuerten Frau auf der einen und dem vernünftigen, denkenden Mann auf der anderen Seite fest.
Zu Freuds Phallokratie und Misogynie kam seine ontologische Homophobie. Ehrlicherweise muss man erwähnen, dass er 1897 die Petition des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld für die Tilgung des Artikels über männliche Homosexualität aus dem Strafgesetzbuch unterzeichnet hatte. 1905 hatte er in Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie bekannt, »[d]aß die invertierten nicht Degenerierte« seien (Bd. V, S. 37). Das war immerhin klar und deutlich. Und genau deshalb spreche ich von einer ontologischen Homophobie, nicht von einer politischen oder militanten. Worin liegt der Unterschied?
Politische Homophobie diskriminiert oder kriminalisiert Homosexualität; ontologische Homophobie beurteilt sie anhand einer Norm als anormal oder pervers – so Freuds Ausdrucksweise. Dabei war mit der Perversion keine moralische, sondern eine topische Verfehlung gemeint: Für Freud war Sexualität die genitale Vereinigung von Mann und Frau. Zitieren wir aus dem Kapitel »Abweichungen in Bezug auf das Sexualziel« in Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie: »Als normales Sexualziel gilt die Vereinigung der Genitalien in dem als Begattung bezeichneten Akte,
der zur Lösung der sexuellen Spannung und zum zeitweiligen Erlöschen des Sexualtriebes führt« (Bd. V, S. 48 f). Hände, Mund oder Anus gehörten für Freud nicht zu den Genitalien, welche nur Penis und Vagina umfassten.
In Abriß der Psychoanalyse bestätigte Freud die Thesen aus Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie fast eins zu eins. Er beschrieb die sogenannte normale sexuelle Entwicklung mit einem Stufenmodell (orale, anale, sadistisch-anale und phallische Phase). Dann beschrieb er den von einer Latenzphase gefolgten Ödipuskomplex und schließlich die genitale Phase, in der sich die Libido des Individuums auf ein Sexualobjekt des anderen Geschlechts ausrichte. Gemessen an dieser Norm charakterisierte Freud die Homosexualität als »Entwicklungshemmung« ( Abriß der Psychoanalyse, Bd. XVII, S. 78).
Homosexualität konnte laut Freud auch zeitweise und vorübergehend auftreten. Sie betraf dann nur einen bestimmten Moment in der sexuellen Entwicklung, beispielsweise wenn ein Individuum zeitweilig keinen Zugang zu Sexualpartnern des anderen Geschlechts hatte (etwa im Gefängnis, beim Militär oder in rein männlichen Gemeinschaften), und war dann entweder schambesetzt oder wurde mit Stolz praktiziert. Manchmal trat sie laut Freud auch zusammen mit der Heterosexualität auf. Doch Homosexualität konnte auch endgültig sein und in der Unfähigkeit resultieren, mit einem gegengeschlechtlichen Partner zu leben. Verallgemeinerungen hielt Freud für riskant.
Hinsichtlich der Entstehung von Homosexualität war er jedoch nicht so zögerlich. In Zur Einführung des Narzißmus erläuterte Freud, die erste sexuelle Befriedigung werde durch Autoerotik (Saugen, Masturbieren und andere mit dem Selbsterhaltungstrieb verbundene Techniken) erzielt. Später würden jene Personen zu Liebesobjekten,
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