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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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keineswegs.
    Freud schien von der Realität außerhalb seiner Praxis in der Berggasse 19 nie wirklich Notiz genommen zu haben. Es war, als lebte er in einer Welt aus Fabeln und Fiktionen, in einem Fantasiereich, in dem er sich zwischen assyrischen und griechisch-römischen Statuen bewegte. Mit den griechischen Sagen schien er vertrauter als mit den Lebensumständen der Zeitgenossen, die seine Praxis durch die gepolsterte Tür betraten.
    Seine Beziehung zur Geschichte zeugt von einer totalen Verleugnung. Die Geschichte war ausschließlich seine Geschichte, also die Geschichte der eigenen Person, aber nie die Geschichte seiner Zeit, in der er – ob er wollte oder nicht – lebte und in der sein Werk entstand. Er weigerte sich, sein Denken in einen zeitgenössischen Kontext zu stellen, also anzuerkennen, dass Einflüsse aus seinem Umfeld, Begegnungen mit anderen und das, was er gelesen hatte, eine Rolle spielten; er wollte alle Spuren seiner intellektuellen Entwicklung verwischen; er wollte den Biographen ihre Arbeit so schwer wie möglich machen; er zeigte sich Briefpartnern gegenüber irritiert, die versuchten, einen bestimmten Gedanken in einen historischen Zusammenhang zu stellen (zum Beispiel den Todestrieb mit dem Kriegsdienst der Söhne oder dem Tod der Tochter); und er äußerte sich in seinem Werk nie zu politischen Ereignissen. Freud lebte in einer Welt der Ideen und hielt die Fäden der selbst gebastelten Marionetten in Händen. Seine einzige Sorge galt dem schönen intellektuellen Schauspiel, das er zum eigenen Vergnügen aufführte.
    Und doch kann man an einigen wenigen Stellen in Freuds Werk die Schatten zeitgeschichtlicher Ereignisse entdecken: der Erste Weltkrieg in Zeitgenössisches über Krieg und Tod (1915); Gedanken zu Massenbewegungen in Massenpsychologie und Ich-Analyse, wo er auf den Sozialismus anspielte (Bd. XIII, S. 110); Kritik an der Oktoberrevolution und am Kommunismus in Das Unbehagen in der Kultur (1930). Doch in keinem seiner veröffentlichten
Texte beschäftigte er sich mit Mussolinis Faschismus oder dem Nationalsozialismus.
    Die einzige Geschichte, für die Freud sich zu interessieren schien, war seine eigene. In den autobiographischen Texten Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung (1914) und »Selbstdarstellung« (1924) schrieb Freud meisterlich die eigene Geschichte und die seiner Disziplin nieder, von der er immer wieder sagte – man möge mir die Wiederholung verzeihen –, dass sie eins mit seinem Leben sei. Die eigene Geschichte kreuzte sich hier und dort mit jener der anderen, aber diese war eher Ausstattung in einem Raum, in dem Freud die wichtigste Person war.
    Freuds politische Ansichten dürfen wir also nicht in seinen Artikeln oder Büchern suchen. Wir müssen uns anderen Quellen zuwenden. Die Briefwechsel zeigen, was wir schon aus dem Werk kennen: Freud blendete die Weltgeschichte weitgehend aus und konzentrierte sich auf die egoistische und narzisstische Geschichte der eigenen Disziplin und ihrer Anhänger: Kongressberichte, Schilderungen der Kollegenszene, Kommentare zu den laufenden Arbeiten, Privates über Todesfälle, Krankheiten, Geburten; Details über Anhänger und Abtrünnige, Neuigkeiten über die Kinder, Gedanken zum Fortschreiten der Disziplin in Europa und der Welt.
    Erfolgreicher ist die Suche in den Erinnerungen anderer über Freud. Beispielsweise hatte Paula Fichtl, eine bescheidene Frau, die dreiundfünfzig Jahre lang Hausangestellte der Familie Freud war (zunächst beim Vater, dann bei der Tochter) und ihr auch nach Wien folgte, Interessantes zu berichten. In ihrem Buch Alltag bei Familie Freud ist zu lesen: »Die österreichische Regierung sei zwar ›ein mehr oder weniger faschistisches Regime‹, äußert Freud seinem Arzt Max Schur gegenüber, trotzdem, so erinnert sich der Freud-Sohn Martin Jahrzehnte später, ›hatte sie all unsere Sympathien‹. Das Gemetzel der Heimwehr unter den Arbeitern von Wien läßt Sigmund Freud kalt.« (S. 73)
    Beschäftigen wir uns mit dem Kanzler Dollfuß, dem Begründer
des Austrofaschismus. Am 4. März 1933 brachte der nationalkonservative Christ die Einheitspartei an die Macht und schuf einen autoritären, katholischen und korporativen Staat. Er schaffte das Streik- und Versammlungsrecht sowie die Schwurgerichte ab. Am 30. Mai desselben Jahres verbot er die sozialdemokratische und am 20. Juni die nationalsozialistische Partei, und zwar nicht wegen ideologischer Differenzen, sondern weil Hitlerdeutschland

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