Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
diese bei angesehenen Verlagshäusern erschienen waren.
Spielen wir also mit und behandeln die Frage nach den Gemeinsamkeiten zwischen Freuds Lehre und dem Faschismus nur anhand von Artikeln und Büchern, die Freud zu Lebzeiten selbst veröffentlichte. Lassen wir seine Bemerkungen zum Tagesgeschehen, die beispielsweise von Hörern seiner Vorlesungen notiert wurden, außen vor. Betrachten wir nur das Werk.
Warum Krieg? beschäftigte sich mit dem Bolschewismus und kam in diesem Zusammenhang zu dem Schluss, »daß es keine Aussicht hat, die aggressiven Neigungen der Menschen abschaffen zu wollen. Es soll in glücklichen Gegenden der Erde, wo die
Natur alles, was der Mensch braucht, überreichlich zur Verfügung stellt, Völkerstämme geben, deren Leben in Sanftmut verläuft, bei denen Zwang und Aggression unbekannt sind. Ich kann es kaum glauben, möchte gern mehr über diese Glücklichen erfahren. Auch die Bolschewisten hoffen, daß sie die menschliche Aggression zum Verschwinden bringen können dadurch, daß sie die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse verbürgen und sonst Gleichheit unter den Teilnehmern an der Gemeinschaft herstellen. Ich halte das für eine Illusion.« (Bd. XVI, S. 23) Freud zufolge stellten die Bolschewiki, während sie auf diesen glücklichen Moment warteten, die Einheit ihrer Gruppe durch den Hass auf alle anderen her. Glück, Überfluss, Reichtum, das Ende von Aggression und Gleichheit für alle durch die marxistische Revolution? Daran glaubte Freud genauso wenig wie Mussolini.
Auch in Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse widmete sich Freud dem Bolschewismus. Er schloss sich dem marxistischen Determinismus an und behauptete, die ökonomische Infrastruktur könne für den ideologischen Überbau bestimmend sein. Wie Marx vertrat er die Überzeugung, dass Freiheit und Unabhängigkeit des Individuums starke metaphysische Fiktionen seien. Marx und Freud kämpften im gleichen ontologischen Lager; beide negierten die Autonomie. Für beide war der Mensch Wirkung und nicht Ursache – für Freud das Ergebnis seines Trieb- und Seelenlebens; für Marx das Ergebnis der Produktionsbedingungen. Weiter reichten die Gemeinsamkeiten allerdings nicht.
Die Wege trennten sich, als Freud klarmachte, dass die ökonomische Situation als Begründung für die Entfremdung nicht ausreiche. Ein zweiter Faktor seien die »Triebregungen« ( Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Bd. XV, S. 193) und eine unhintergehbare »Aggressionslust« (ebd., S. 194). Marx’ historischer Optimismus setzte auf die Kollektivierung der Produktionsmittel und damit auf das Ende der Entfremdung; Freuds Pessimismus ließ keinen Raum für die Vorstellung von
einem Ende des Todestriebs und der natürlichen Neigung der Menschen, einander zu bekämpfen. Der Bolschewismus beruhte auf einer zum Teil korrekten Gesellschaftsanalyse, gelangte aber zu falschen Schlüssen. Die Psychoanalyse ging von zutreffenderen Annahmen aus und gelangte zu unabänderlichen Gewissheiten.
Freud befand, in Gestalt des Bolschewismus sei der Marxismus zu einer Art Wissenschafts- und Technikreligion geworden, die keine Kritik zuließe: »Die Werke von Marx haben als Quelle einer Offenbarung die Stelle der Bibel und des Korans eingenommen, obwohl sie nicht freier von Widersprüchen und Dunkelheiten sein sollen als diese älteren heiligen Bücher.« (ebd., S. 195) Der Marxismus als Kritik an den Illusionen des Idealismus begriff sich als materialistisch, fiel jedoch selbst Illusionen zum Opfer – die größte davon war sicher der Glaube an eine glückliche, friedvolle Zukunft, in der die Menschen in Liebe und Brüderlichkeit miteinander leben.
Ontologisch betrachtet ist Marx’ Optimismus der Gegenpol zu Freuds Pessimismus. Die gesamte aufklärerische Philosophie ist von der Vorstellung des menschlichen Fortschritts geprägt. Es gibt keine pessimistische Aufklärung. Freuds tragisches Denken wird so zur Gegenphilosophie, wobei der Begriff so zu verstehen ist, wie er im 18. Jahrhundert gebraucht wurde – nämlich als ein Denken, das auf dem ontologischen Sockel des grundlegend Bösen ruht, das von einer Art Ursünde ausgeht, von einer düsteren Vorgeschichte, aus der die phylogenetische Übertragung des Vatermordes herrührt.
Freud betonte die tiefe Kluft zwischen dem Glauben an eine friedliche Zukunft und der Gegenwart, die im Widerspruch zu diesem Optimismus stand. Die UdSSR war bis an die Zähne
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