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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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der sich über den Diktator lustig machte, sondern als platonischer Philosoph, der den Herrscher beriet. Lesen wir weiter: »Hier wäre anzuknüpfen, man müsste mehr Sorge als bisher aufwenden, um eine Oberschicht selbständig denkender, der Einschüchterung unzugänglicher, nach Wahrheit ringender Menschen zu erziehen, denen die Lenkung der unselbständigen Massen zufallen würde. Daß die Übergriffe der Staatsgewalten und das Denkverbot der Kirche einer solchen Aufzucht nicht günstig
sind, bedarf keines Beweises. Der ideale Zustand wäre natürlich eine Gemeinschaft von Menschen, die ihr Triebleben der Diktatur [ sic ] der Vernunft unterworfen haben. Nichts anderes könnte eine so vollkommene und widerstandsfähige Einigung der Menschen hervorrufen, selbst unter Verzicht auf die Gefühlsbindungen zwischen ihnen. Aber das ist höchstwahrscheinlich eine utopische Hoffnung. Die anderen Wege einer indirekten Verhinderung des Krieges sind gewiß eher gangbar, aber sie versprechen keinen raschen Erfolg. Ungern denkt man an Mühlen, die so langsam mahlen, daß man verhungern könnte, ehe man das Mehl bekommt.« (ebd., S. 24)
    Was meinte Freud, als er die Kritik der Kirche an der Lehre von einer Oberschicht geißelte? Er sagte es nicht direkt, aber man kann sich vorstellen, dass er auf die Opposition der universalistischen, egalitären katholischen Kirche gegen Mussolinis Faschismus und die Ideologie des »Neuen Italiens« anspielte. Bekanntlich endete diese Auseinandersetzung am 11. Februar 1929 mit der Unterzeichnung der Lateranverträge.
    Freuds Texte zeigen ihn öffentlich als antikommunistisch, antibolschewistisch, antisozialistisch und antisozialdemokratisch. Ausschließlich privat offenbarte er Sympathien für den Faschismus Dollfuß’ und Mussolinis. Deshalb vertrat er Thesen, die antiegalitär und rassisch waren, ohne rassistisch zu sein. Wie soll man diesen Satz aus Warum Krieg? sonst verstehen: »[H]eute vermehren sich unkultivierte Rassen und zurückgebliebene Schichten der Bevölkerung stärker als hochkultivierte.« (ebd., S. 26) Derartige Niederträchtigkeiten findet man in Einsteins Texten nicht.
    Warum Krieg? hätte Mussolini also tatsächlich gefallen können, mit oder ohne Widmung. Es ist kein pazifistisches Werk, wie uns die Vulgata glauben machen will, die Freud als liberalen, moderaten, aufgeklärten, sozial, ethisch und kulturell fortschrittlichen jüdischen Denker präsentiert. Was soll man mit so fürchterlichen Thesen wie diesen machen: Der Todestrieb, der am Ursprung aller Kriege steht, werde erst mit dem letzten Menschen
verschwinden; der Krieg ist eine Notwendigkeit der Natur, mit der man sich abfinden müsse; manche Kriege schaffen Recht durch Gewalt, was eine gute Möglichkeit sei, sie mit der Gewalt des Rechts abzuschaffen (dieser Gedanke basiert augenscheinlich auf einem obszönen Paralogismus); ideal wäre eine Gesellschaft, in der eine Handvoll Menschen die Massen anführten, was auch dazu beitragen würde, die gegenwärtige Reproduktion der zurückgebliebenen »Rassen« zugunsten der hochkultivierten zu beenden.
    Diese Seiten belasten Freud schwer, doch man versteht nun, warum er Einsteins Pazifismus als »Sottise« abtat. Und dass Warum Krieg? kein zufällig ausgewähltes Geschenk für den Helden der Kultur war. Die Widmung erscheint vor diesem Hintergrund nicht als Fehler oder Entgleisung, nicht als ironisches Augenzwinkern eines weisen alten Mannes gegenüber einem ungebildeten Tyrannen, sondern als echte Ehrerbietung eines Psychoanalytikers, die durch dessen Gesamtwerk nicht entkräftet wird. Im Gegenteil.

VI.
Der freudsche Übermensch und die Urhorde
    »Alle Einzelnen sollen einander gleich sein, aber alle
wollen sie von einem beherrscht werden. […]
[D]er Mensch ist ein Herdentier, dahin zu korrigieren,
er sei vielmehr ein Hordentier, ein Einzelwesen einer
von einem Oberhaupt angeführten Horde.«
    Sigmund Freud, Massenpsychologie und
Ich-Analyse (Bd. XIII, S. 135)
     
     
    Die Hagiographen bezogen sich nur auf die von Freud selbst veröffentlichten Texte, und so traf es sie hart, als eine alte Hausangestellte Freuds dessen Sympathie für Dollfuß’ austrofaschistisches Regime offenlegte. Die peinliche Widmung erklärten sie zur lächerlichen Anekdote und Freud zum sokratischen Weisen, der sich über den italienischen Diktator lustig machte. Private Briefe wollten sie nicht zur Kenntnis nehmen – mit der Schutzbehauptung, man wühle nicht im Müll –, selbst wenn

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