Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

unkritischen Freud-Literatur sind viele verschiedene Übersetzungen besser als eine wirklich kritische Ausgabe.
    Ich habe auch bei PUF in der Reihe »Bibliothèque de Psychanalyse« erschienene Sammelbände benutzt. So umfasst der Band La Technique psychanalytique die Übersetzung folgender Freud-Texte von Anne Berman: La Méthode psychanalytique de Freud [ Die freudsche psychoanalytische Methode ] , De la psychothérapie [ Über Psychotherapie ] , Perspectives d’avenir de la thérapeutique analytique [ Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie ], A propos de la psychanalyse dite »sauvage«, [ Über »wilde« Psychoanalyse ] , Le Manièrement de l’interpretation du rêve en psychanalyse [ Die Handhabung der Traumdeutung in der Psychoanalyse ], La Dynamique de transfert [ Zur Dynamik der Übertragung ] , Conseils aux médecins sur le traitement analytique
[ Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung ] , De la fausse reconnaissance (»déjà raconté«) au cours du traitement psychanalytique [ Über Fausse Reconnaissance (»déjà raconté«) während der psychoanalytischen Arbeit ] , Le Début du traitement [ Zur Einleitung der Behandlung ] , Remémoration, répétition et perturbation [ Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten ] , Observations sur l’amour de transfert [ Bemerkungen über die Übertragungsliebe ] , Les Voies nouvelles de la thérapeutique psychanalytique [ Wege der psychoanalytischen Therapie ] . Diese kohärente Zusammenstellung löst tatsächlich ein, was der Titel verspricht. Freud hat sehr viele Artikel verfasst, und es gibt zahlreiche Bücher mit Artikelsammlungen. Wenn man das Gesamtwerk nicht in chronologischer Reihenfolge gelesen hat, sind sie eine gute Hilfe. Ich selbst habe alles in der richtigen Reihenfolge gelesen und begriffen, dass man ohne eine solche Lektüre Gefahr läuft, der von Freud und seinen Tempelhütern konstruierten Legende lange Zeit Glauben zu schenken.
    Der wichtigste Artikel ist meiner Meinung nach L’Analyse avec fn et l’analyse sans fn [ Die endliche und die unendliche Analyse ], weil er das Fazit des Lebens wie des Werks ist und die Quintessenz aus über fünfzig Jahren analytischer Praxis darstellt. Übersetzt wurde er von J. Altounian, Al Bourguignon, P. Cotet und A. Rauzy und findet sich in Band II von Résultats, idées, problèmes (1921–1938) in der »Bibliothèque de psychanalyse«, erschienen bei PUF und in Band XX des Gesamtwerks.
    Le Président Thomas Woodrow Wilson. Portrait psychologique [ Thomas Woodrow Wilson: Der 28. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (1913–1921) ], geschrieben zusammen mit William C. Bullitt, habe ich in der Übersetzung von Marie Tadié gelesen, die bei 10/18 erschien.
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    Hagiographien anstelle von Biographien. Während meines Studiums galt Ernest Jones’ Sigmund Freud – Leben und Werk (dtv, 1984, deutsch zuerst 1962) als grundlegend für das Verständnis der Geschichte der Psychoanalyse. Die drei Bände Die Entwicklung der Persönlichkeit und die großen Entdeckungen (1856–1900), Jahre der Reife (1901–1919) und Die letzte Phase (1919–1939) wurden zum Vorbild für die meisten nachfolgenden Biographien. Denn die wichtigsten Instrumente des Biographen sind leider allzu häufig eine Schere und eine Tube Klebstoff.
    Jones’ monumentale Biographie ist nichts anderes als eine Legende. Sie wimmelt von Lücken, Lügen, Erfindungen, Verzerrungen und Parteinahmen. Auch hier fehlt eine kritische Ausgabe. Wieso beispielsweise wird Emma Eckstein auf den ungefähr 1500 Seiten kein einziges Mal erwähnt, obwohl ihr Fall Fließ und Freud eine ganze Weile beschäftigte (wovon auch der Briefwechsel zeugt, der Jones bekannt war)? Das Massaker am Opfer der beiden Kollegen darf in einer guten Hagiographie natürlich nicht auftauchen.
    Jones’ dickes Buch ist ein Musterbeispiel der Gegen- oder Desinformation und der Prototyp der Legendenbildung. Es erzählt vom Leben und Tod eines Helden, der seine Existenz selbstlos der Suche nach einer neuen Welt widmete. Getrieben wurde er demnach von nichts als seinem Genie. Zugeeignet ist das Buch Freuds Tochter: »Anna Freud, der würdigen Tochter eines unsterblichen Mannes gewidmet.« Deutlicher kann man kaum ankündigen, dass der Text eher hagiographisch als historisch ist. Eine kritische Ausgabe dieses Buchs wäre eine epistemologisch interessante Aufgabe, die beleuchten könnte, wie man eine Mythologie entwirft und dabei die Wissenschaft als