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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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freiheitliche Theorie und hielt die Psychoanalyse für eine Revolution. Die Exkurse zu Reich und Marcuse illustrieren, wie dieses Zerrbild entstand. Doch das kurze und schwierige Verhältnis von Freud und Reich zeigt, wie weit der Freudomarxismus (den ich persönlich bevorzuge) von der genuin freudschen Theorie entfernt war. Sicher hätten auch
Marcuses Thesen den Wiener Doktor konsterniert. Dass Freuds Porträt im 20. Jahrhundert oft neben Bildern von Che Guevara, Marx und Mao hing, hat viel zum guten Ruf der Psychoanalyse beigetragen – glauben konnten daran jedoch nur jene, die Freud nicht gelesen hatten.
    Die fünf Gründe, die einen Teil des Erfolgs der Psychoanalyse im vergangenen Jahrhundert erklären, sind also: Der Sex, nämlich der Einbruch der Sexualität in eine Welt, die tausend Jahre lang vom Ideal der Askese beherrscht wurde. Der Feldzug, also der unbedingte Wille, die Disziplin wie eine militante Organisation aufzubauen, um Europa und später die Welt kulturell zu beherrschen. Die Religion, genauer die Konstruktion von Freuds Disziplin nach dem Schema einer Religion mit dem Versprechen einer Soteriologie. Der Kairos, in anderen Worten der perfekte Zeitpunkt, zu dem Freuds Nihilismus mit dem des Fin-de-Siècle, wenn nicht des ganzen Jahrtausends zusammenfiel. Und das Missverständnis des Freudomarxismus, der – ohne genuin freudianisch oder marxistisch zu sein – Freud und der Psychoanalyse eine freiheitliche Aura verlieh, und zwar in einer Welt, die ihrer selbst müde geworden war.
    Ironischerweise können wir uns zum Schluss dieses Buchs dreimal auf Freud selbst berufen. Erstens: In Die Zukunft einer Illusion beschrieb er den Unterschied zwischen Illusion und Fehler. Ein Fehler entsteht durch falsche Kausalität – wenn etwa ein Nervenleiden durch sexuelle Ausschweifungen erklärt werde. Die Illusion dagegen beziehe sich auf einen innigen Wunsch, wie im Fall des Kolumbus, der glaubte, Indien entdeckt zu haben, obwohl er in Amerika an Land gegangen war. Auch jene deutschen Nationalisten, die nur die Indoeuropäer für kulturfähig hielten, oder Alchimisten, die glaubten, Blei in Gold verwandeln zu können, seien Illusionen erlegen. Weil die Illusion in einem besonders starken Wunsch gründe, gleiche sie einer »psychiatrischen Wahnidee« (Bd. XIV, S. 353).
    Als Nächstes beschäftigte Freud sich mit den Religionen: »Sie
sind sämtlich Illusionen, unbeweisbar, niemand darf gezwungen werden, sie für wahr zu halten, an sie zu glauben. Einige von ihnen sind so unwahrscheinlich, so sehr im Widerspruch zu allem, was wir mühselig über die Realität der Welt erfahren haben, daß man sie – mit entsprechender Berücksichtigung der psychologischen Unterschiede – den Wahnideen vergleichen kann. Über den Realitätswert der meisten von ihnen kann man nicht urteilen. So wie sie unbeweisbar sind, sind sie auch unwiderlegbar.« (ebd., S. 354)
    Um der Kritik und den Angriffen zuvorzukommen, denen ich unweigerlich eines Tages ausgesetzt sein werde – denn niemand zerstört eine Illusion, ohne die Wut und den Hass jener auf sich zu ziehen, die ihr anhängen –, will ich nicht versäumen, auch die folgenden Worte Freuds zu zitieren: »Wenn es sich um Fragen der Religion handelt, machen sich die Menschen aller möglichen Unaufrichtigkeiten und intellektuellen Unarten schuldig.« (ebd., S. 355) Lässt sich diese Äußerung nicht Punkt für Punkt auf die Psychoanalyse selbst beziehen?
    Jeder, der sich die Mühe macht, Freuds Werk als das zu sehen was es ist, kann Freuds wahres Denken entlarven – er darf sich nur nicht mit der offiziell verbreiteten Vulgata und den Katechismen zufriedengeben und nicht der Illusion anheimfallen, die jedem gesunden Menschenverstand widerspricht. Als unreflektiertes Glaubenssystem, dem man mit Leib und Seele zu folgen hat, um das eigene Leben zu meistern, gehorcht die Psychoanalyse denselben Prinzipien wie eine Religion: Sie bringt Erleichterung, genau wie der Glaube an ein Jenseits, in dem all unsere Wünsche erfüllt werden und die Realität keine Gültigkeit mehr hat. Wenn das Quellwasser von Lourdes heilen kann, wieso sollten dann nicht auch Worte Heilung bringen, wenn sie im Beisein eines Schamanen gesprochen werden? Doch beweisen die vielen Zeugen, die das Wunder gesehen haben wollen, die Existenz Gottes oder die Wahrheit der kirchlichen Lehre? Ich bin so frei, diese Frage mit Nein zu beantworten.

    Ich kann mich zum Schluss dieses Buches noch ein zweites Mal auf

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