Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Freud berufen, indem ich einer Aussage zustimme, die er 1937 in Die endliche und die unendliche Analyse machte: »[I]st es möglich, einen Konflikt des Triebs mit dem Ich oder einen pathogenen Triebanspruch an das Ich durch analytische Therapie dauernd und endgültig zu erledigen? Es ist wahrscheinlich zur Vermeidung von Mißverständnis nicht unnötig, näher auszuführen, was mit der Wortfügung: dauernde Erledigung eines Triebanspruchs gemeint ist. Gewiß nicht, daß man ihn zum Verschwinden bringt, so daß er nie wieder etwas von sich hören läßt. Das ist im allgemeinen unmöglich, wäre auch gar nicht wünschenswert.« (Bd. XVI, S. 68 f) Ich möchte das kürzer und direkter formulieren. Frage: Kann die Psychoanalyse heilen? Antwort: Nein. Zusatz: Hält sie die Heilung etwa nicht einmal für wünschenswert? Womöglich wegen des Krankheitsgewinns? Antwort: Wahrscheinlich nicht.
Mit einem Zitat aus einem dritten Text von Freud möchte ich dieses Buch beschließen. Wir haben gesehen, dass man – Freuds eigener Analyse zufolge – die Psychoanalyse als Illusion begreifen kann, die aus einem jeder Realität und Erfahrung entgegengesetzten Wunschdenken entstanden ist. Mit einundachtzig Jahren und kurz vor seinem Tod im Exil musste Freud sich keine Sorgen mehr um Ruhm und Geld, den Nobelpreis, Medaillen und Auszeichnungen machen, und so kümmerte er sich nur noch um die Wahrheit und gab zu, dass die Psychoanalyse nicht heilen kann, weil ein Trieb niemals gänzlich verschwindet. Diese letzten Gedanken des alten Mannes im Angesicht des Todes müssen wir im Hinterkopf behalten, wenn wir uns nun am Schluss mit einer Überlegung aus Abriß der Psychoanalyse beschäftigen.
Freud zeigte hier die Grenzen seiner Therapiemethode auf, von der er wusste, dass sie nicht allmächtig war, dass sie scheitern konnte und gegen viele Widerstände ankämpfen musste: »[G]ewiss erreichen wir nicht immer zu siegen, aber wenigstens können wir meistens erkennen, warum wir nicht gesiegt haben. Wer unseren Ausführungen nur aus therapeutischem Interesse gefolgt
ist, wird sich vielleicht nach diesem Eingeständnis geringschätzig abwenden. Aber uns beschäftigt die Therapie hier nur insoweit sie mit psychologischen Mitteln arbeitet, derzeit haben wir keine anderen. Die Zukunft mag uns lehren, mit besonderen chemischen Stoffen die Energiemengen und deren Verteilungen im seelischen Apparat direkt zu beeinflussen. Vielleicht ergeben sich noch ungeahnte andere Möglichkeiten der Therapie; vorläufig steht uns nichts besseres zu Gebote als die psychoanalytische Technik und darum sollte man sie trotz ihrer Beschränkungen nicht verachten.« (Bd. XVII, S. 108)
Das Gesamtwerk endet mit diesem dichten kurzen Text, der sich ganz trocken mit der Quintessenz der Disziplin auseinandersetzt – so wie sich ein Sterbender ohne Angst dem Grab nähert. Genau hier, an jenem Ort, wo der Tod Freud mitten im Satz unterbrach, müssen wir versuchen, sein Werk zu verstehen. Sollen wir es verachten – um seine Ausdrucksweise zu verwenden? Sicher nicht. Aber wir müssen es der Legende entreißen und es nach hundert Jahren endlich in einen historischen Kontext stellen. Bestimmt werden andere Untersuchungen folgen, die ihrerseits eines Tages überholt sein werden. Darin besteht der Sinn dieser nietzscheanischen Psychobiographie über Sigmund Freud.
Erinnern wir uns, was Nietzsche Lou Andreas-Salomé, der Freundin Freuds, in einem Brief erzählte: An der Universität Basel lehre er seine Studenten, dass die Beziehungen zwischen den philosophischen Systemen sich letztlich auf das persönliche Handeln ihrer Autoren zurückführen ließen. Sei ein System auch widerlegt, so sei doch die Person hinter diesem System unwiderlegbar, man könne sie nicht töten. Was gestern für Platon galt, gilt heute für Freud. Den Toten halten wir nicht die Treue, wenn wir an ihren Gräbern beten, sondern wenn wir das Leben leben, das sie möglich machen.
Argentan, zur Wintersonnenwende
Bibliographie
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Chronologische Lektüren. Ich habe mit der Ausgabe der bei den Presses universitaires de France unter der wissenschaftlichen Leitung von Jean Laplanche erschienenen Œuvres complètes gearbeitet. Da ich wusste, dass ich keine Hagiographie schreiben wollte, bevorzugte ich diese Neuübersetzung, welche die Texte insofern angeglichen hat, als die Fachbegriffe nun stets auf die gleiche Weise übersetzt werden. Denn die Glaubensgemeinschaft der Psychoanalytiker und ihrer Anhänger
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