Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Selbstanalyse nach dem Tod des Vaters) sein wollte, wimmelt nur so von persönlichen, subjektiven, in der ersten Person erzählten Sequenzen. Man findet darin ungefähr fünfzig Träume, die von den nächtlichen Fantasien, Begierden und der Lust des Autors zeugen. Der Leser begegnet Freuds Mutter, als sie von Wesen mit Vogelschnäbeln auf ein Bett
gelegt wird; einem Onkel mit blondem Bart; einem von Freuds Söhnen im Sportanzug; einem missmutigen Freund; einem anderen, kurzsichtigen Sohn; Freuds Vater auf dem Totenbett oder einer gewissen Irma, der eine Spritze verabreicht wird. Man erfährt etwas über Freuds Kindermädchen, dem er sein sexuelles Initiationserlebnis verdankte; über seine Studienjahre; über das Familienchaos mit drei Generationen unter einem Dach; über das Sterben und den Tod des Vaters, den Freud in seinen Briefen an Fließ stets den »Alten« nannte; über Freuds Ernennung zum außerordentlichen Professor und seine Italienreisen. Außerdem befassen sich viele Abschnitte mit der Psyche des erwachsenen Freud.
     
    Zu diesen gehört auch eine Schlüsselszene, die uns im Folgenden beschäftigen soll, eine Art Eröffnungsakt und damit maßgeblich für das weitere Leben. Sartre hätte sie mit seinem existentialistischen Vokabular als originäres Projekt bezeichnet. Die Szene ist selbstverständlich traumatisch; sie ist peinlich für den Vater und damit auch für den Sohn. Als Freud zehn oder zwölf Jahre alt war, flanierte er mit seinem Vater durch die Straßen. Die beiden plauderten. Der Vater erzählte eine Geschichte aus der eigenen Jugend, um dem Sohn zu zeigen, welchen anderen gesellschaftlichen Status die Juden damals hatte und wie angenehm das Leben im nunmehr toleranteren Wien war. Damals, im Jahr 1866/ 1867, war der Vater, gut gekleidet und mit einer neuen Pelzmütze, auf einen Christen getroffen. Der hatte die Mütze mit einem Handstreich in die Gosse befördert und Jakob Freud beleidigt: »Jud, herunter vom Trottoir!« Sigmund Freud wollte wissen, wie sein Vater darauf reagiert hatte, und musste enttäuscht erfahren, dass der Vater nichts getan, sich gebückt, die Mütze aufgehoben und seinen Weg fortgesetzt hatte. Dies kommentierte Freud dreißig Jahre später mit den Worten: »Das schien mir nicht heldenhaft von dem großen starken Mann, der mich Kleinen an der Hand führte.« ( Traummaterial und Traumquellen, Bd. II/III, S. 203)

    Das Kind stellte sich einen alternativen Ausgang der Geschichte vor und dachte an Hannibals Vater Hamilkar Barkas, der seinen Sohn Rache an den Römern schwören ließ. Es scheint plausibel, dass ein Teil von Freuds Programmatik auf diesem Wunsch basierte, selbst zum Hannibal zu werden und den Vater zu rächen. Freud bekannte, fortan sei Hannibal für ihn ein Held gewesen. Als Schüler las er die Berichte von den punischen Kriegen und identifizierte sich mit den Karthagern. Als junger Mann erlebte er den in Wien herrschenden Antisemitismus, wodurch ihm Marschall Masséna zum Helden wurde. In Freuds Vorstellung entstand ein Gegensatz zwischen dem katholischen Rom, das für den Mann stand, der seinen Vater beleidigt hatte, und Karthago, der Stadt des Kriegsführers, der Widerstand gegen die Römer geleistet hatte. Von nun an strebte er nur noch danach, als Sieger und Eroberer in Rom Einzug zu halten.
    Freud wurde von der Identifikation mit bestimmten Figuren geradezu gepeinigt. Seine Programmatik orientierte sich oft sklavisch an diesen Figuren; zunächst an Hannibal, später an Moses, aber – wie wir noch sehen werden – auch an Ödipus. Hannibals Leben erinnert in der Tat in einigen Punkten an das Freuds. Beide Männer teilten etwa das treue Festhalten an einem gegebenen Versprechen, die gnadenlose Opposition gegen den Feind, ein offenkundiges Talent für Strategie und Taktik, mit denen die gesetzten Ziele erreicht wurden; einen Ruf, der die Verleumdungen der Gegner überdauerte, und ein Lebensende, das im Zeichen der Wiederaneignung des Selbst durch Suizid stand.
    Doch jenseits biographischer Gemeinsamkeiten einte beide Männer das starke Bedürfnis, als Sieger und Eroberer in Rom Einzug zu halten. Dieser Gedanke quälte Freud lange Zeit. Er dachte über einen Umzug nach, beschäftigte sich mit der Topografie der Stadt und las zahlreiche Bücher zum Thema. In einem Brief an seine Frau sprach er von dem Wunsch, mit ihr dorthin zu ziehen. Er überlegte sogar, dafür seine Stelle als Professor aufzugeben. Doch eine Reise Richtung Rom im Jahr 1897 endete

Weitere Kostenlose Bücher