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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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seltsamerweise
am Trasimenischen See. Freud hörte auf eine innere Stimme, die ihm sagte: Bis hierher und nicht weiter. Zweitausend Jahre zuvor hatte Hannibal dieselbe Stimme vernommen und am selben Ort Halt gemacht.
    Neben den Briefen an Fließ zeugt auch Freuds Werk von dieser merkwürdigen Beziehung zu Rom. In der Traumdeutung spielt die Stadt häufig eine Rolle. Freud analysierte seine Träume und erkannte, dass hier eine tiefere Bedeutung verborgen lag. Doch erneut machte er vor deren Entschlüsselung Halt, bis die Reise eines Tages doch ein Ende fand. In Aus den Anfängen der Psychoanalyse ist über die endlich vollendete Reise die seltsame Bemerkung zu lesen, sie sei der Höhepunkt seines Lebens. Welch Eingeständnis!
    Freuds Beziehung zu Italien im Allgemeinen und Rom im Besonderen war Teil seiner Neurose. Er selbst bestätigte dies in einem Brief an Fließ vom 3. Dezember 1897: »Meine Romsehnsucht ist übrigens tief neurotisch« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 309), schrieb er in Bezug auf seine Rombegeisterung als Schüler. Folgt man dem Prinzip der Deckerinnerung, so kann man unterstellen, dass Freud in seinen Äußerungen über Hannibal der Hypothese der Rache für den Vater eine bedeutende Rolle zuschrieb, obwohl die Lösung anderweitig zu finden war. Denn immer wenn Freuds Erzeuger in dessen Werk auftauchte, erschien er vielmehr als kastrierender Vater, als rivalisierender Vater, als toter Vater oder als Vater, den es aus dem Weg zu räumen – und eben nicht zu ehren – galt. Das Bild vom berühmten, verehrten, auf der ganzen Welt respektierten Freud, der seinen Vater oder gar alle verhöhnten Juden rächen wollte, ist zwar schön, steht aber in extremem Widerspruch zu allem, was in seinem Werk zu lesen ist.
    Ohne es zu merken lieferte Freud sogar den Schlüssel zu den am sorgsamsten verriegelten Schlössern. So erwähnte er etwa in einem Anhang zur Traumdeutung von 1911, er habe darin die typische Analyse eines versteckt ödipalen Traums vorgelegt. Er zitierte Rank, der wiederum Titus Livius zitierte, mit der Episode vom Orakel, das den Tarquinern weissagte, die Herrschaft über
Rom werde demjenigen zufallen, »der zuerst die Mutter küsse« ( Die Traumarbeit, Bd. II/III, S. 403, Fußnote). Freud zufolge steht der Traum von einer sexuellen Beziehung zur Mutter für eine Inbesitznahme der Mutter-Erde.
    So lässt sich das Rätsel um Hannibal lösen. Freuds Interpretation von Hannibal als jüdischem Rächer der von den Römern gedemütigten Karthager (die er mit seinem jüdischen, von einem Katholiken – also Römer – beleidigten Vater gleichsetzt) verstellt den Blick auf eine andere Deutung. Sie findet sich hier, aber auch an vielen anderen Stellen in seinem Werk: Die Erde ist die Mutter. Rom erobern bedeutet, die Mutter-Erde zu besitzen. Der Einzug in die Stadt entsprach in Freuds vom Inzestwunsch gepeinigter Seele der Vereinigung mit seiner Mutter. Deshalb begehrte er Rom so lange, umkreiste die Stadt so lange, deshalb war er bereit, für sie alles aufzugeben. Und deshalb gelang es ihm auch lange nicht, sie zu betreten, deshalb schaffte er es nur bis vor ihre Tore, und als er endlich in die Stadt gelangt war, bezeichnete er dies als Höhepunkt seines Lebens.
     
    Eine weitere Szene, die Freud aus seiner Kindheit berichtete, zeigt sein Verhältnis zum Vater in neuem Licht. Hier wird Jakob nicht als ein Vater imaginiert, den es zu rächen gilt, nachdem er selbst nicht in der Lage war, eine antisemitische Anfeindung zu parieren. Vielmehr erscheint er hier als kastrierender Vater. Liest man die erste Episode im Hinblick auf die zu erobernde Mutter und nicht auf den zu rächenden Vater, weist sie dem Vater einen logischen Platz innerhalb von Freuds ödipalem System zu. Die zahlreichen Darstellungen des kastrierenden, toten oder zu tötenden Vaters scheinen der einen Geschichte über den entwürdigten, vom Sohn gerächten Vater zu widersprechen. Plötzlich sah man den Vater aus einer Perspektive, die dem Sohn zupass kam: nämlich als entwürdigten, verletzten Vater, den Freud keineswegs zu rächen gedachte – obgleich er mit dieser Behauptung die ödipale Wahrheit verbergen wollte.

    Die andere Szene erachtete Freud für würdig, in ein Meisterwerk aufgenommen zu werden, von dem er sich immerhin den Nobelpreis erhoffte – ganz zu schweigen von Geld, Gedenktafeln, Büsten, weltweitem Ruhm und einem tieferen Fußabdruck in der Geschichte, als Kopernikus oder Darwin ihn hinterlassen hatten. Das

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