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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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litt an einer Dopplung der Persönlichkeit, verweigerte die Nahrungsaufnahme und erkannte viele Menschen nicht wieder. Unter ihr Vorzeichen also stellte Freud möglicherweise die Geburt seiner Tochter. Zwar symbolisierte sie die Geburt der Psychoanalyse, doch sie war zugleich Inbegriff der Hysterie.
    Freuds Version klang so: Breuer behandelte die schwer kranke Patientin mit Hypnose. Durch diese Technik machte sie sich Verdrängtes bewusst und wurde letztlich geheilt. Das dauerhafte Verschwinden der Symptome nach der Formulierung des Verdrängten unter Hypnose bezeichnete Freud als »wunderbare Tatsache« ( sic ) (Freud/Breuer, Studien über Hysterie, S. 40). So entstand
eine neue »therapeutische Technik«, welche die Hypnose ersetzte. Anna O. bezeichnete sie als »›talking cure‹ (Redekur)« oder scherzhaft als »›chimney-sweeping‹ (Kaminfegen)« (ebd., S. 27). Breuer und Freud vermieden diese Metapher und sprachen lieber von einer »karthartischen Methode«.
    Die historische, also nicht legendäre Version der Geschichte sieht anders aus. Anna O. wurde nie geheilt und erlebte zahlreiche Rückfälle, wie selbst Ernest Jones in seiner Freud-Biographie bestätigt. Bertha Pappenheim litt tatsächlich auch nach der Behandlung noch an depressiven Zuständen, gefolgt von Delirien; wenn sie sich abends hingelegt hatte, vergaß sie weiterhin ihre Muttersprache und fühlte sich beobachtet und ausgespäht. Offiziell wurde sie am 7. Juni 1882 geheilt und war doch bis 1887 viermal zur Behandlung ihrer Symptome im Krankenhaus. Nach acht Jahren Krankheit engagierte sie sich ab 1890 für Literatur und Soziales. Breuer unterrichtete Freud regelmäßig über ihre Entwicklung. Am 5. August 1883 – ein Jahr nach der in der Publikation über Anna O. verkündeten Heilung – schrieb Freud an Martha, Anna O. sei »einmal mehr« im Krankenhaus. Er fügte hinzu, Breuer wünsche ihren Tod, damit die arme Frau von ihren Leiden erlöst werde. Er sei der Meinung, sie werde sich davon nie erholen und sei innerlich vernichtet. Der Todeswunsch ist verständlich, denn er wäre dem Tandem Breuer/Freud besser zupass gekommen als eine auf dem Papier geheilte Patientin, die weiterhin leidend im Krankenhaus lag.
    1888 schrieb der über Anna O.s wahren Zustand gut informierte Freud dennoch, Breuers Methode sei exzellent und liefere »Heilerfolge, die sonst nicht zu erreichen sind.« ( Handwörterbuch der Gesamten Medizin, Bd. 1, S. 892) Mit dieser Lüge überholte Freud seine französische Konkurrenz, darunter deren schwarzes Schaf Janet, der endlich rehabilitiert werden müsste. Freuds Konkurrenten experimentierten, gingen langsam vor, sammelten klinische Fälle und begnügten sich nicht mit einem einzigen Patienten. Sie logen nicht, waren vorsichtig und geduldig.
Sie hatten also noch keine Ergebnisse formuliert, während Freud sich um derlei Vorbehalte nicht kümmerte und froh war, der Erste zu sein. Doch worin genau bestand sein Sieg, und welchen Preis musste er dafür zahlen?
    Schamlos behauptete Freud zeit seines Lebens, die Behandlung der Anna O. sei ein Erfolg gewesen, so 1916/17 in Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (Bd. XI, S. 264), 1924 in »Selbstdarstellung« (Bd. XIV, S. 45), 1925/26 in Psycho-Analysis (Bd. XIV, S. 299) und 1932 in Meine Berührung mit Josef Popper-Lynkeus (Bd. XVI, S. 261). Privat gab er das Scheitern zwar zu, führte es allerdings auf Breuers Unfähigkeit zurück, in Anna O.s Hysterie die Auswirkung einer sexuellen Übertragung zu sehen. Breuer scheiterte dort, wo Freud Erfolg hatte, und so kam es zum Bruch zwischen den Männern. Laut Freud ist die Psychoanalyse zwar auch Breuer zu verdanken, jedoch nur in geringem Maß. Bedurfte es doch Freuds Mut, Intelligenz und Genie, um ihren wahren Gehalt ans Licht zu bringen – nämlich die ausschließlich sexuelle Ätiologie der Neurosen.
    Dem vorgeblichen Grund für die Wahl des Namens seiner Tochter Anna als Hommage an die Geburt der Psychoanalyse korrespondiert möglicherweise ein wahrer Grund, nämlich die Anspielung auf eine Hysterikerin und auf zwei Spinner, die sich vor allen anderen mit psycho-analytischen Federn schmücken wollten, gleich um welchen Preis. Auch wenn die bei den anderen Kindern angewendete Logik der symbolschwangeren Vornamen im Fall einer anonymen Patientin wenig greift, so verweist der Name von Freuds jüngster Tochter hinsichtlich seiner Bedeutung und seines Zeichencharakters ziemlich genau auf das von Breuer erdachte Pseudonym

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