Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
persönlichen Bekenntnissen und Träumen, die sich allesamt als Königsweg zum Unbewussten erweisen – und zwar einzig und allein dem Unbewussten von Freud.
Durch einen dieser Träume wurde Freud mit seinen »überzärtlichen Gefühlen« (Brief an Fließ, 31. Mai 1897, Briefe an Wilhelm Fließ, S. 266) für seine Tochter Mathilde konfrontiert. Der Traum erschien ihm in keiner Weise problematisch, im Gegenteil: Er interpretierte ihn als Beweis für die Theorie der Verführung, die er damals verbissen verteidigte. Später musste er sie öffentlich zurücknehmen; darauf wird noch zurückzukommen sein. Freud nannte keine Details, aber es ist durchaus vorstellbar, dass ein Vater, der mit seiner Tochter »überzärtlich« ist, auch mit ihr schläft. Sah Freud darin ein Problem? Keineswegs. Im selben Brief erläuterte er: »Der Traum zeigt natürlich meinen Wunsch erfüllt, einen pater [ sic ] als Urheber der Neurose zu ertappen, und macht so meinen sich immer noch regenden Zweifeln ein Ende.« (ebd.) Mit anderen Worten: Der Traum beweist laut Freud die These der sexuellen Ätiologie der Neurosen, besonders hinsichtlich des Traumas, das der Vater bei den Kindern verursacht. Freud träumte, und schon wurde der Traum Wirklichkeit. Nebenbei bemerkt erinnert der Gebrauch des Lateinischen zur Bezeichnung des Vaters an Freuds Kinderfantasie, in der er matrem nudam gesehen zu haben glaubte.
Wir merken uns deshalb auch diese Formulierung und erinnern uns, dass es sich um einen Brief handelt, also um einen spontan und ohne Entwurf geschriebenen, frei formulierten Text, der nicht den gleichen Vorsichtsmaßnahmen unterzogen wird wie ein zur Veröffentlichung vorgesehenes Manuskript. Was also schrieb Freud? Dass der inzestuöse Traum natürlich seinen Wunsch erfüllt … Welcher Wunsch ist hier gemeint? Mit seiner Tochter Mathilde zu schlafen oder die Theorie der Verführung bestätigt zu sehen – die im Übrigen davon ausgeht, dass er mit ihr hätte schlafen können, weil das angeblich viele Väter taten?
In einem anderen Brief an Otto Rank vom 4. August 1922 sprach Freud von einem prophetischen Traum über den Tod seiner Söhne. Was könnte das sein, ein prophetischer Traum? Dem Wörterbuch zufolge kündigt er ein bevorstehendes Ereignis an.
Besagter Traum ereignete sich in der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 1915. Freud schildert ihn in seinem Text Traum und Telepathie, der im gleichen Jahr erschien, aus dem der Brief an Rank datiert. Wie der Titel schon sagt, geht es darin um die Beziehung zwischen Traum und Telepathie, wobei dem zweiten Begriff besondere Bedeutung zukommt. Vor diesem Hintergrund berichtete Freud: »Ich habe z. B. einmal während des Krieges geträumt, daß einer meiner an der Front befindlichen Söhne gefallen sei. Der Traum sagte dies nicht direkt, aber doch unverkennbar, er drückte es mit den Mitteln der bekannten […] Todessymbolik aus.« ( Traum und Telepathie, Bd. XIII, S. 166) Es folgte eine detaillierte Beschreibung des Traums und die Feststellung: »Mein Sohn aber, den jener Traum totsagte, ist heil aus den Gefahren des Krieges zurückgekehrt.« (ebd.) Weshalb erzählte Freud von diesem Traum? Um zu demonstrieren, dass es keine warnenden Träume gibt.
In besagtem Brief an Rank sprach er nicht von einem warnenden, sondern von einem prophetischen Traum. Wie ist dieser Lapsus zu erklären, der dazu führte, dass Freuds Formulierung Telepathie auch an Prophezeiung denken ließ? Freud behauptet, er wolle mit dem antiken Denken brechen, demzufolge der Traum die Zukunft vorhersagt. Für ihn gibt es keine warnenden Träume, denn Träume zeigen nicht das, was geschehen wird, sondern erzählen in ihrer spezifischen Logik das, was aufgrund von Verdrängung nicht geschehen ist. Die entsprechende These aus Die Traumdeutung ist hinlänglich bekannt: »Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches.« ( Die Traumentstellung, Bd. II/III, S. 166).
Glaubt man den Deutungsvorgaben des Vaters, so wäre der Traum vom an der Front gestorbenen Sohn die verkleidete Erfüllung
eines verdrängten Wunsches. In Psychopathologie des Alltagslebens heißt es, ein Versprecher oder ein versehentlich falscher Ausdruck verriete ein verdrängtes unbewusstes Bedürfnis. So lieferte Freud selbst die Argumente, um den Lapsus im Brief an Rank als unbewussten Wunsch zu deuten. Unterschreiben können wir schließlich auch diese Beobachtung: »Kriegszeiten wie die gegenwärtigen bringen eine Reihe
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