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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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seit jeher und für immer auf jeden Menschen zutreffen sollte. Er unterstellte der gesamten Menschheit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die gleichen Neigungen zu verspüren. Freud begehrte seine Mutter und wünschte den Vater weit fort? So war es, so ist es und so würde es immer sein. Freud stellte diese Behauptung auf und überließ die Beweislast dem Rest der Menschheit.
    In der Traumdeutung schrieb er: »Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten Haß und gewalttätigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere Träume überzeugen uns davon. König Ödipus, der seinen Vater Laïos erschlagen und seine Mutter Jokaste geheiratet hat, ist nur die Wunscherfüllung unserer Kindheit.« ( Traummaterial und Traumquellen, Bd. II/III, S. 269) Welche Beweise er dafür anführte? Keine. Vom »vielleicht« gelangte er zur Behauptung und Gewissheit, womit aus Wunsch Wahrheit und aus Begierde wissenschaftliche Tatsache wurde. So verwandelte sich der Ödipuskomplex vom Kindertraum zum Naturgesetz. Der Wunsch eines kleinen Kindes, die Mutter im Schlafwagen von Leipzig nach Wien nackt zu sehen, wurde zur vom Psychoanalytiker vertretenen wissenschaftlichen Wahrheit, die weltweit als gleichrangig
mit den Entdeckungen Kopernikus’ oder Darwins angepriesen wurde.
    Freud sagte uns, ohne Beweise anzuführen, dass auch wir diesen Kinderwunsch in uns trügen. Jeder von uns habe einmal mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil schlafen wollen und das gleichgeschlechtliche Elternteil als Rivalen begriffen, den es zu beseitigen galt. Freud hatte es so erlebt, und folglich mussten alle anderen es auch so erlebt haben. Für ihn gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder jemand erinnerte sich an diese Konstellation und er konnte sich bestätigt sehen, oder man erinnerte sich nicht und er sah sich noch stärker bestätigt, denn wer sich nicht erinnert, zeugt von der wunderbaren Kraft der Verdrängung, die umso wichtiger wird, je ausgeprägter das ödipale Begehren ist. In beiden Fällen triumphiert Ödipus, aber auch – und vor allem – Freud, dem seine eigene Neurose erträglicher wurde, kaum dass auch jeder andere an ihr litt. Wenn alle die gleiche Krankheit haben, ist niemand mehr krank.

VIII.
Die Wahrheit über den »wissenschaftlichen Mythos«
    »Klare Grundbegriffe und scharf umrissene Definitionen
sind nur in den Geisteswissenschaften möglich, soweit diese
ein Tatsachengebiet in den Rahmen einer intellektuellen
Systembildung fassen wollen. In den Naturwissenschaften,
zu denen die Psychologie gehört, ist solche Klarheit der
Oberbegriffe überflüssig, ja unmöglich.«
    Sigmund Freud, »Selbstdarstellung« (Bd. XIV, S. 84)
     
     
    Um zu beweisen, dass die Menschheit seit ihren Anfängen solcherart Empfindungen hat wie das kleine Kind im Zug nach Wien, beschäftigte sich Freud mit der Geschichte. Er untersuchte die Urvölker, um die Psyche des prähistorischen Menschen zu ergründen. Sein erklärtes Ziel war, einen »wissenschaftlichen Mythos« zu präsentieren, und zwar den »wissenschaftlichen Mythos vom Vater der Urhorde« ( Massenpsychologie und Ich-Analyse, Bd. XIII, S. 151). Dieser Mythos war gut geeignet, die Allgemeingültigkeit des Ödipuskomplexes zu beweisen.
    Wir lesen richtig: ein wissenschaftlicher Mythos! In diesem Oxymoron war die gesamte Ambivalenz Freuds als Person und somit auch der Disziplin der Psychoanalyse enthalten. Denn ein Mythos bedeutet: eine Geschichte ohne Autor und konkreten Entstehungszeitpunkt, der durch poetische Texte – im etymologischen Sinn: poietikos (schöpferisch) – die Welt erklären will. So illustriert der Mythos von Sisyphos das ewige Scheitern; die Geschichte von Ikarus verdeutlicht, wie der Hochmut gegenüber den Göttern bestraft wird; Prometheus wiederum steht für die Macht der Menschen über die Götter. Doch weder bei Sisyphos
noch bei Ikarus oder Prometheus handelt es sich um eine Wissenschaft.
    Ein Mythos funktioniert qua Allegorie, qua mündlich von Generation zu Generation überlieferter Metaphorik. Er entstammt der alten Welt der Götter. Eine Wissenschaft ist das exakte Gegenteil: Sie basiert auf Hypothesen, Recherchen, Experimenten sowie deren Reproduktion, der Validierung der Hypothesen, dem Aufstellen von Gesetzen, die durch Reproduzierbarkeit gültig sind. Der Dichter lebt im Mythos, der Wissenschaftler aber lebt in der Welt. Und die Welt ist kein Mythos, selbst wenn der Mythos eine Welt erschaffen kann.
    Was

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