Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Strategie nicht mehr von Belang. Vor einigen Jahren prahlte ein Universitätsdirektor mir gegenüber mit dem Umstand, dass seine Universität mit dem universitätseigenen Stiftungsfonds um die zwanzig Prozent Zinsen einnahm. Was er übersah: Diese Gewinne waren mit Fragilitäten verbunden, die schnell in katastrophale Verluste umschlagen konnten – prompt machte dann ein schlechtes Jahr sämtliche Einkommen zunichte, und das Fortbestehen der gesamten Universität war in Frage gestellt.
Mit anderen Worten, wenn etwas fragil ist, dann wird aufgrund des Risikos, dass es ganz zu Bruch geht, alles, was man unternimmt, um es zu verbessern oder »effizient« zu machen, nutzlos sein, wenn man nicht als Erstes dieses Risiko reduziert. Publilius Syrus bemerkte: Nichts lässt sich zugleich hastig und sicher erledigen – fast nichts.
So kann ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts ganz einfach dadurch erreicht werden, dass man Schulden auf die kommenden Generationen abwälzt – und die zukünftige Wirtschaft bricht dann womöglich unter dem Zwang, diese Schulden zurückzuzahlen, zusammen. Ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts scheint wie Cholesterin eine Prokrustesbett-Konstruktion zu sein, mit der sich das System abgreifen lässt. Und genau wie für ein Flugzeug, das stark absturzgefährdet ist, der Begriff »Geschwindigkeit« keine Rolle spielt, da bekannt ist, dass es seinen Bestimmungsort sowieso womöglich nicht erreicht, kann Wirtschaftswachstum mit Fragilitäten nicht Wachstum genannt werden – Regierungen haben diese Tatsache allerdings bislang noch nicht verstanden. Während der goldenen Jahre der Industriellen Revolution, also in der Zeit, die Europa in seine dominierende Position katapultierte, betrug das Wachstum nicht einmal bescheidene ein Prozent pro Kopf. Trotz dieses niedrigen Wertes handelte es sich um ein robustes Wachstum – ganz im Unterschied zu dem gegenwärtig stattfindenden närrischen Wettrennen der Staaten, die dem Wachstum hinterherspurten wie von ihrer eigenen Geschwindigkeit berauschte Jugendliche am Steuer.
Senecas Hantel
Damit komme ich zu meiner Hantellösung – nahezu alle Lösungen des Ungewissheitsproblems sind hantelförmig.
Was verstehe ich unter Hantel? Die Hantel (eine von Gewichthebern benutzte Stange mit Gewichten an beiden Enden) soll die Vorstellung einer Kombination von Extremen illustrieren, die jeweils für sich einen eigenen Bereich bilden, während die Mitte ausgespart bleibt. In unserem Kontext ist das nicht notwendigerweise eine symmetrische Angelegenheit: Es geht nur um die Verbindung von zwei Extremen ohne Mitte. Man könnte es auch technischer als bimodale Strategie bezeichnen, da mit zwei sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen und nicht mit einem einzigen zentralen Modus gearbeitet wird.
Ursprünglich benutzte ich das Bild von der Hantel, um eine duale Vorgehensweise zu beschreiben, mit der ich in manchen Bereichen auf Nummer sicher gehen (also robust gegen negative Schwarze Schwäne sein) kann, in anderen Bereichen viele kleine Risiken (die für positive Schwarze Schwäne offen sind) eingehe und so einen antifragilen Zustand erreiche. Extreme Risikoscheu auf der einen Seite steht also extremer Risikobereitschaft auf der anderen Seite entgegen; und das »mittlere« oder verflixte »moderate« Risikoverhalten, das letztlich nichts anderes ist als ein Dummkopf-Spiel, wird ausgelassen (denn mittlere Risiken können gewaltigen Berechnungsirrtümern unterliegen). Die Hantelstrategie reduziert, ja eliminiert aufgrund ihrer Struktur das Verlustrisiko.
Lassen Sie mich ein Beispiel aus der vulgären Welt des Finanzwesens anführen; in diesem Bereich ist es am einfachsten zu erklären und wird am häufigsten missverstanden. Wenn Sie 90 Prozent Ihres Kapitals in langweiligen Sparformen, beispielsweise in Bundeswertpapieren oder auf Tagesgeldkonten anlegen (vorausgesetzt, Sie sind vor der Inflation geschützt), und 10 Prozent auf sehr riskante, maximal riskante Wertpapiere setzen, dann können Sie gar nicht mehr verlieren als diese 10 Prozent und eröffnen sich zugleich die Möglichkeit großer Gewinne. Ein Anleger dagegen, der mit 100 Prozent im Bereich des mittleren Risikoprofils anlegt, lässt sich auf das Risiko eines totalen Ruins aufgrund Falschberechnung der Risiken ein. Die Hanteltechnik behebt das Problem, dass die Risiken seltener Ereignisse nicht berechenbar sind und fragil hinsichtlich Schätzungsfehlern; die finanzielle Hantel hat ein bekanntes
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