Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

weniger externer Daten war die theoretische Herleitung der Existenz des Planeten Neptun durch den französischen Astronomen Le Verrier. Sie beruhte ausschließlich auf Berechnungen, die sich am Verhalten der umgebenden Planeten orientierten. Als der Planet dann tatsächlich gesichtet wurde, weigerte sich Le Verrier, ihn anzuschauen, da er sich seiner Berechnungen derart sicher war. Doch das sind Ausnahmen, sie gehören in die Physik und andere Bereiche, die ich als »linear« bezeichne; und die Irrtümer, die dort passieren, gehören nach Mediokristan, nicht nach Extremistan.)
    Nehmen wir nun die Vorstellung des Kochens als Ausgangspunkt für andere Beschäftigungen: Gibt es Aktivitäten, die damit vergleichbar sind? Wenn wir einzelne Technologien genauer studieren würden, würden wir feststellen, dass die meisten dem Vorgang des Kochens viel näher stehen als der Physik, vor allem, wenn es um komplexe Technologien geht.
    Selbst die Medizin funktioniert bis heute nach dem Modell der direkten Weitergabe praktischen Wissens, und die theoretische Wissenschaft spielt nur eine untergeordnete Rolle – und doch wird der Anschein erweckt, als ginge es um nichts als Wissenschaft. Dabei würde, ließe man die direkte Wissensweitergabe außer Acht, die »evidenzbasierte« Methode ausschlaggebend sein, die weniger auf physiologischen Theorien als auf einer Auflistung empirischer Gesetzmäßigkeiten beruht, also auf einer Art von Phänomenologie, wie ich sie im siebten Kapitel beschrieben habe. Woran liegt es, dass Wissenschaften kommen und gehen, Technologien hingegen stabil bleiben?
    Hier zeigt sich, dass die Grundlagenwissenschaft unter Umständen eine Rolle spielt, allerdings anders als beabsichtigt. 52 Als Beispiel für nicht beabsichtigte Anwendungen beginnen wir mit Phase Eins: dem Computer. Die mathematische Fachrichtung der Kombinatorik – in diesem Fall die Grundlagenwissenschaft – hat sich aus dem propositionalen Wissen entwickelt, das zum Bau von Computern führte – jedenfalls wird die Geschichte so erzählt. (Und natürlich, um auch die Rosinenpicker zufriedenzustellen, müssen wir den Bestand an theoretischem Wissen in Rechnung stellen, der nirgendwohin führte.) Zunächst wusste niemand, was man mit diesen riesigen Schränken voller Schaltkreise anfangen sollte – sie waren sperrig, teuer, und abgesehen von der Verwaltung von Datenbanken kamen sie nur wenig zur Anwendung – aber sie waren gut darin, große Mengen von Daten zu verarbeiten. Es war, als hätte es erst einer Anwendung bedurft, um den Reiz der Technologie zu entdecken. Die Älteren unter uns werden sich an die sonderbaren Lochkarten erinnern, bevor jemand die Konsole einführte, um Daten mit Hilfe eines Monitors und einer Tastatur einzugeben. Daraus entwickelte sich dann die Textverarbeitung, und nun nahm die Entwicklung des Computers, vor allem mit dem Aufkommen von Kleincomputern in den frühen 1980er Jahren, Fahrt auf. Computer waren praktisch, aber auch nicht viel mehr, bis eine andere Entwicklung sich damit kreuzte.
    Damit kommen wir zu Phase Zwei: dem Internet. Ursprünglich war es als robustes militärisches Kommunikationsnetzwerk gedacht, entwickelt von der DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), einer Forschungsabteilung des US -Verteidigungsministeriums, das zu der Zeit, da Ronald Reagan von der fixen Idee besessen war, ein Angriff der Sowjets stehe unmittelbar bevor, Auftrieb bekam. Das Netzwerk sollte die Vereinigten Staaten in die Lage versetzen, einen militärischen Großangriff zu überleben. Eine grandiose Idee, doch nimmt man den Personal Computer mit dem Internet zusammen, bekommt man soziale Netzwerke, gescheiterte Ehen, einen sprunghaften Anstieg an Nerdiness und die Möglichkeit, dass ein post-sowjetisches Individuum mit Bindungsproblemen den passenden Partner findet. All das verdanken wir den Steuergeldern (oder wohl eher dem Haushaltsdefizit) aus der Zeit des Reagan’schen Kreuzzugs gegen die Sowjets.
    Schauen wir uns jetzt den Vorwärtspfeil der Entwicklung an: Zu keinem Zeitpunkt hat die akademische Wissenschaft dazu beigetragen, die Richtung zu bestimmen – wobei sie natürlich in gewisser Weise durchaus von Nutzen war, denn Computertechnologie beruht in der Hauptsache auf Wissenschaft; die Wissenschaft war eher ein Sklave zufälliger Entdeckungen in einer opaken Umgebung, in der College-Aussteiger und langhaarige Highschool-Studenten das Bild prägten. Der Prozess war und blieb in jeder Phase