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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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vornehm unterschlägt. Die Liste der als solche ausgewiesenen Beiträge von Hobbyforschern und Tüftlern ist also sehr wahrscheinlich kürzer als die der tatsächlichen; manche Akademiker haben sich womöglich eine Innovation zugeschrieben, die eigentlich auf jemanden vor ihnen zurückgeht. 53
    Erlauben Sie mir, an dieser Stelle poetisch zu werden. Selbstbestimmte Gelehrsamkeit hat eine ästhetische Dimension. Lange Zeit hing in meinem Arbeitszimmer folgendes Zitat von Jacques Le Goff, dem großen französischen Mittelalterspezialisten, der die Auffassung vertritt, die Renaissance sei nicht von professionellen Wissenschaftlern, sondern von unabhängigen Humanisten ausgegangen. Le Goff analysierte den frappierenden Unterschied zwischen Lehrern an mittelalterlichen Universitäten und Humanisten, wie ihn zeitgenössische Gemälde, Zeichnungen und Berichte darstellen:
    Ersterer ist ein Professor, umgeben und umlagert von Trauben von Studenten. Der andere: ein einsamer Gelehrter, der in der Ruhe und Abgeschiedenheit seiner Gemächer sitzt, vollkommen gelassen und entspannt in einem geräumigen, behaglichen Raum, in dem seine Gedanken sich frei entfalten können. Hier die Hektik von Schulen, der Staub von Klassenzimmern, die Blindheit für das Schöne, wie sie für Arbeitsplätze, die von vielen genutzt werden, typisch ist.
    Dort hingegen: Ordnung und Schönheit –
    Luxe, calme et volupté.
    Was nun den Hobbyforscher im weiteren Sinn angeht, so deutet alles darauf hin, dass er es ist (und neben ihm noch der erlebnishungrige Abenteurer und der Privatinvestor), der am Ursprung der Industriellen Revolution steht. Kealey – wir erwähnten schon, dass er kein Historiker ist und Gott sei Dank auch kein Wirtschaftswissenschaftler – stellt in seinem Buch The Economic Laws of Scientific Research das herkömmliche »lineare Modell« in Frage (also den Glauben, Technologien hätten sich aus akademischem Wissen entwickelt). Nach Kealey ist das Prosperieren der Universitäten ein Resultat aus nationalem Wohlstand und nicht umgekehrt. Und er geht noch weiter mit seiner Behauptung, die von den Universitäten ausgehenden Impulse wirkten nachgerade schädlich. Er zeigt, dass in Ländern, in denen die Regierung eingreift, indem sie die Forschung mit Steuermitteln unterstützt, private Anleger eher mit Rückzug reagieren. So hat beispielsweise in Japan das allmächtige MITI (Ministry of International Trade and Industry) eine abschreckende Investmentbilanz. Ich führe diese Ideen nicht an, um ein politisches Programm gegen die Förderung der Wissenschaften zu propagieren, ich will lediglich die Kausalzusammenhänge bei der Entstehung wegweisender Erfindungen aufdecken.
    Die Industrielle Revolution ging, um daran noch einmal zu erinnern, von »Technologien entwickelnden Technikern« aus beziehungsweise von dem Bereich, den Kealey als »Hobby-Wissenschaft« bezeichnet. Denken wir nur wieder an die Dampfmaschine, diese Konstruktion, die die Industrielle Revolution am prägnantesten verkörpert. Ich habe bereits erwähnt, dass der erste Konstruktionsentwurf für die Dampfmaschine von Hero von Alexandrien stammt. Etwa zwei Jahrtausende lang interessierte sich niemand für die Theorie. Der Grund für das Interesse an Heros Entwurf musste also in der Praxis liegen, nicht umgekehrt.
    Nach Kealeys – sehr überzeugender – Darstellung entstand die Dampfmaschine aus Technologien, die bereits da waren; sie wurde von Leuten ohne akademische Bildung, häufig Sonderlingen, erfunden, die mit gesundem Menschenverstand, Praxiserfahrung und Intuition mechanische Probleme anpackten, die ihnen im Weg standen, und deren Lösung ganz offensichtlich greifbaren ökonomischen Gewinn versprach.
    Zweites Beispiel: Die Textiltechnologien. Auch für diesen Bereich stellte Kealey fest, dass die wichtigsten Verfahren, die den Sprung in die Moderne nach sich zogen, der Wissenschaft rein gar nichts verdanken: »Im Jahr 1733«, schreibt er, »erfand John Kay das fliegende Schiffchen, wodurch das Weben mechanisiert wurde; 1770 erfand James Hargreaves die Spinning Jenny, die, wie der Name verrät, das Spinnen mechanisierte. Diese zentralen Entwicklungen in der Textiltechnologie sowie darüber hinaus die Erfindungen von Wyatt und Paul (Spinnrahmen, 1758) und Arkwright (Waterframe – durch Wasser angetriebene Spinnmaschine, 1769) waren Vorboten der Industriellen Revolution, auf die die Wissenschaft keinen Einfluss hatte; es handelte sich vielmehr um aus der Empirie

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