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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Interventionismus sei.
    Seine Antwort: »Sie haben eine Nase von der Größe von Cleveland und interessieren sich jetzt für … Zahlen?« Ich erinnere mich, aus seinen schwammigen Bemerkungen den Schluss gezogen zu haben, dass er nichts zu antworten wusste.
    Und er konnte auch gar keine Antwort haben, denn sobald ich wieder Zugang zu einem Computer hatte, fand ich bestätigt, dass es keinerlei zwingende empirische Belege gibt, die eine Reduzierung der Schwellung ratsam erscheinen lassen. Zumindest nicht jenseits der sehr seltenen Fälle, in denen die Schwellung für den Patienten wirklich bedrohlich werden könnte, was bei mir ganz eindeutig nicht der Fall war. Es war der pure Dummkopf-Rationalismus, der in den Köpfen der Ärzte zu spuken pflegt und der sich einfach an dem orientiert, was beschränkt intelligenten Leuten einleuchtend vorkommt, in Verbindung mit Interventionismus, diesem Drang, einfach irgendetwas zu machen, sowie dem Denkfehler, zu meinen, wir wüssten es besser, und der Abwertung des Nicht-Beobachteten. Dieser Denkfehler ist nicht beschränkt auf unser Bestreben, Schwellungen in den Griff zu bekommen: Dieselbe Konfabulation treibt in der gesamten Geschichte der Medizin ihr Unwesen und natürlich auch noch in vielen anderen Tätigkeitsfeldern. Die Forscher Paul Meehl und Robyn Dawes begründeten eine Forschungstradition, die die Spannung zwischen »klinischem« und versicherungsmathematischem (also statistischem) Wissen katalogisiert und untersucht, wie viele Sachverhalte von Fachleuten und Klinikärzten fälschlich für wahr gehalten werden, die mit empirischen Beweisen nicht in Deckung gebracht werden können. Das Problem ist, dass Meehl und Dawes keine klare Vorstellung davon hatten, wo die empirische Beweislast liegt (der Unterschied zwischen naivem oder Pseudo-Empirismus und strengem Empirismus) – die Beweislast liegt bei den Ärzten, sie müssen uns erklären, warum es sinnvoll ist, Fieber zu senken, warum es gesund sein soll, zu frühstücken, bevor man aktiv wird (es gibt keinen Beweis dafür), und warum ein Aderlass die beste Lösung ist (davon haben sie sich mittlerweile distanziert). Manchmal bekomme ich auf meine Anfragen die Antwort, dass sie keine Ahnung haben, indem sie ganz entrüstet sagen: »Ich bin schließlich Arzt!«, oder: »Sind Sie denn Arzt?« Das Schlimmste aber ist, dass ich hin und wieder zustimmende Briefe und Sympathiebekundungen von Anhängern der Alternativmedizin bekomme, und da werde ich richtig sauer: Meine Vorgehensweise in diesem Buch ist ultra-orthodox, ultra-rigoros und ultra-wissenschaftlich, mit Alternativmedizin hat sie ganz sicher nichts zu tun.
    Die verborgenen Kosten der medizinischen Versorgung beruhen überwiegend auf der Leugnung von Antifragilität. Aber daran ist nicht nur die Medizin schuld – was wir als Zivilisationskrankheiten bezeichnen, geht auf den Versuch von Menschen zurück, das Leben für uns bequemer zu machen, was sich direkt gegen unsere ureigenen Interessen richtet, denn das Bequeme bewirkt Fragilisierung. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels konzentriere ich mich auf typische Beispiele aus dem Bereich der Medizin mit verborgenen negativen Konvexitätseffekten (kleine Gewinne, große Verluste) und formuliere noch einmal das Phänomen der Iatrogenik, der schädlichen Nebenwirkungen, in Verbindung mit meiner Vorstellung von Fragilität und Nichtlinearitäten.
    Erstes Prinzip der Iatrogenik (Empirismus)
    Das erste Prinzip der Iatrogenik lautet: Wir brauchen keinen Beweis für Schädlichkeit, um festzustellen, dass ein Medikament oder eine unnatürliche Vorgehensweise im Stil der Via Positiva gefährlich ist. Man erinnere sich an meine Bemerkungen zum Truthahn-Problem: Der Schaden liegt in der Zukunft, nicht in der sauber definierten Vergangenheit. Mit anderen Worten: Empirismus ist kein naiver Empirismus.
    Das Raucher-Argument habe ich bereits angeführt. Ein weiteres Argument ist die abenteuerliche Geschichte des Transfetts, einem von Menschen erfundenen Fett. Irgendwie kam man auf ein Verfahren der Fettherstellung, und da man sich mitten in der großen Ära der Wissenschaftsgläubigkeit befand, war man überzeugt, man würde das besser hinkriegen als die Natur. Nicht einfach nur gleich, nein: besser. Chemiker behaupteten, sie könnten ein Fettersatzprodukt herstellen, das Schmalz oder Butter in vielerlei Hinsicht überlegen sei. Erstens war es bequemer zu handhaben: Synthetische Produkte wie Margarine bleiben im Kühlschrank weich,

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