Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
Vom Netzwerk:
unbekannten Nebenwirkungen). Ab und an bringt die Pharmaindustrie Medikamente auf den Markt, die die Leistung steigern sollen, beispielsweise Steroide – aber nur um kurz darauf eine Entdeckung zu machen, die die Leute auf den Finanzmärkten schon länger kennen: auf einem »gesättigten« Markt gibt es nichts geschenkt, und was aussieht wie geschenkt, ist mit einem versteckten Risiko verbunden. Wenn man glaubt, man habe etwas gefunden, was umsonst zu haben ist, etwas in der Art von Steroiden oder Transfetten – ein Mittel, das den Gesunden hilft, ohne dass es ihnen sichtbar schadet –, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich irgendwo ein Pferdefuß verbirgt. Aus meiner Zeit als Trader kenne ich dafür die Bezeichnung »Dummkopf-Geschäft«.
    Und es gibt einen einfachen statistischen Grund, warum wir bisher keinen Wirkstoff gefunden haben, der uns zu einem uneingeschränkt besseren Lebensgefühl verhilft (oder uns uneingeschränkt stärker macht und so weiter), wenn wir gesund sind: Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte die Natur selbst dieses Wundermittel längst gefunden. Andererseits darf man nicht vergessen, dass Krankheit selten ist, und je kränker ein Individuum ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die Natur in angemessener – kurzer – Zeit von allein eine Lösung findet. Ein Zustand, der sagen wir drei Einheiten weit von der Norm abweicht, ist über dreihundertmal seltener als die Norm; eine Krankheit, die fünf Einheiten weit von der Norm abweicht, ist über eine Million Mal seltener!
    Die Ärztegemeinschaft hat für diese Nichtlinearität der Vorteile im Verhältnis zu den iatrogenen Effekten keine Modelle entwickelt, und selbst wenn Mediziner diesem Umstand mündlich doch immer mal wieder Rechnung tragen, habe ich keine Aufsätze zu einer Entscheidungsfindungsmethode gefunden, die Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt (im nächsten Abschnitt werde ich zeigen, dass sehr selten explizit mit Konvexitätsverzerrung gearbeitet wird). Sogar Risiken scheinen linear extrapoliert zu werden, was sowohl Unter- als auch Überschätzung zur Folge hat, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber eine Fehleinschätzung des Schadensausmaßes – so konstatiert beispielsweise eine Abhandlung über die Auswirkungen von Strahlung: »Das Standardmodell, das heutzutage verwendet wird, extrapoliert das Krebsrisiko von hohen Dosen auf niedrige Dosen ionisierender Strahlen.« Hinzu kommt, dass Pharmafirmen unter dem finanziellen Druck stehen, Krankheiten zu finden, denn sie müssen ja ihre Anlagefachleute zufriedenstellen. Sie holen das Letzte heraus, indem sie bei immer gesünderen Menschen nach Krankheiten suchen, sich über Lobbyisten für die Neueinteilung von Krankheitszuständen einsetzen und ausgeklügelte Verkaufstricks erstellen, um Ärzte dazu zu verleiten, mehr zu verschreiben, als nötig ist. Wenn sich Ihr Blutdruck im oberen Sektor des Bereichs befindet, der früher »normal« genannt wurde, dann gelten Sie heute nicht mehr als »normoton«, sondern als »prä-hyperton«, obwohl keine Symptome vorliegen. Solange die Klassifikation eine gesündere Lebensweise und robuste Via-Negativa -Maßnahmen zur Folge hat, ist dagegen nichts einzuwenden – in den meisten Fällen steht dahinter jedoch das Bestreben, mehr Medikamente in Umlauf zu bringen.
    Ich habe gar nichts gegen Funktion und Aufgabe der Pharmaindustrie, lediglich gegen ihre Geschäftspraktiken: Sie sollten sich zu ihrem eigenen Besten auf schwere Erkrankungen konzentrieren, nicht auf Umklassifizierungen oder darauf, Ärzte zur Verschreibung von Medikamenten zu nötigen. Die heutige Pharmaindustrie setzt voll und ganz auf den Interventionismus der Ärzte.
    Eine andere Sichtweise bestünde darin, die Nebenwirkungen beim Patienten und nicht die Behandlungsmethode in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn der Patient todkrank ist, sollte man sämtliche spekulativen Behandlungsmethoden einsetzen – alles ist erlaubt. Und wenn umgekehrt der Patient fast gesund ist, dann sollte Mutter Natur die Rolle des Arztes übernehmen.
    Die Jensen’sche Ungleichung in der Medizin
    Mit dem Stein der Weisen habe ich erklärt, dass Volatilität im Zustand des Ausgesetztseins eine größere Rolle spielen kann als der Durchschnitt – der Unterschied ist die »Konvexitätsverzerrung«. Wenn man hinsichtlich einer bestimmten Substanz antifragil (also konvex) ist, dann geht es einem besser, wenn man sie in zufälligen Dosen und nicht in regelmäßigen

Weitere Kostenlose Bücher