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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Zahnpasta aber dient möglicherweise nur dazu, das abnorme Zeug zu kompensieren, das wir zu uns nehmen – Stärkeerzeugnisse, Zucker und stark fruktosehaltigen Maissirup. À propos Maissirup: Auch so ein typisches Neomanieprodukt, finanziert von einer technikhörigen Verwaltungsabteilung unter Präsident Nixon, die unter dem Druck stand, Maisanbauer subventionieren zu müssen. Insulinspritzen für Typ- II -Diabetiker, wobei davon ausgegangen wird, dass die Symptome von Diabetes auf den Blutzuckerspiegel und nicht auf Insulinresistenz (oder etwas damit Zusammenhängendes) zurückzuführen sind. Sojamilch. Kuhmilch für Menschen mediterraner oder asiatischer Abstammung. Heroin, das schlimmste Suchtmittel überhaupt, wurde als Morphinersatz für Hustenblocker entwickelt, das nicht die suchterzeugenden Nebeneffekte von Morphin haben sollte. Psychiatrie, vor allem für Kinder – aber ich nehme an, von den Gefahren dieser Maßnahme brauche ich keinen zu überzeugen. Aber nun genug davon.
    Es sei noch einmal wiederholt, dass meine Aussagen in den Bereich des Risikomanagements gehören: Wenn ein Mensch sehr krank ist, braucht man sich über Nebenwirkungen keine Gedanken zu machen. Es sind also die weniger schweren Fälle, die Gefährdungen mit sich bringen.
    Diese Beispiele sind leicht nachzuvollziehen, es gibt allerdings auch sehr viel heiklere Anwendungen. So liegen etwa ganz im Widerspruch zu dem, was auf einer primitiven Ebene »Sinn zu machen« scheint, keine eindeutigen Beweise dafür vor, dass man mit zuckerfreien, also weniger kalorienhaltigen Softdrinks schneller abnimmt. Aber es dauerte dreißig Jahre, in denen die Biologie von Millionen Menschen durcheinandergebracht wurde, bis wir anfingen, uns solche Fragen zu stellen. Diejenigen, die diese Drinks bewerben, scheinen aufgrund von physikalischen Gesetzen (naiven, aus der Thermodynamik übertragenen Gesetzmäßigkeiten) der Meinung zu sein, dass wir durch Kalorienzufuhr an Gewicht zunähmen und dass diese Annahme für die Analyse ausreichend sei. Für die Thermodynamik wäre es tatsächlich zutreffend, denn eine einfache Maschine reagiert auf Energiezufuhr ohne Feedback, ein Auto verbrennt Treibstoff. Diese Argumentation hat allerdings in der Informationsdimension, in der Nahrung nicht lediglich als Energiequelle fungiert, keinen Bestand; Nahrung liefert vielmehr (ebenso wie Stressoren) Informationen über die Umgebung. Die Nahrungsaufnahme in Verbindung mit der Aktivität des Körpers erzeugt Hormonkaskaden (oder analoge Informationsübermittlungsstrukturen), die ein bestimmtes Verlangen (nach dem Verzehr anderer Nahrungsmittel) zur Folge haben, oder aber Veränderungen in der Art und Weise, wie der Körper die ihm zur Verfügung gestellte Energie verbrennt – ob er eher Fett speichern und Muskelmasse verbrennen muss oder umgekehrt. In komplexen Systemen wirken Feedback-Schleifen; das, was man »verbrennt«, hängt davon ab, was man zu sich nimmt, und wie man es zu sich nimmt.
    Die opake Logik der Natur
    Zur Zeit der Abfassung dieses Buchs befasst sich der Biologe Craig Venter mit der Erschaffung von künstlichem Leben. Er führte Experimente durch und stellte sie in einer berühmten Veröffentlichung unter dem Titel »Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome« vor. Ich empfinde großen Respekt vor Craig Venter; ich halte ihn für einen der schlausten Köpfe in der Geschichte der Menschheit und für einen »Macher« im eigentlichen Sinn des Wortes. Andererseits: Fehlbaren Menschen derartige Macht zu verleihen ist so ähnlich, als würde man einem Kleinkind ein paar Stangen Sprengstoff in die Hand drücken.
    Für die Kreationisten dürfte das sehr wahrscheinlich eine Beleidigung Gottes darstellen; für die Evolutionisten ist es mit Sicherheit eine Beleidigung der Evolution. Und für Probabilisten wie mich und meine Kollegen ist es eine Beleidigung menschlicher Klugheit, ein erster Schritt zu dem Zustand, Schwarzen Schwänen voll und ganz ausgesetzt zu sein.
    Ich fasse das Argument noch einmal zusammen. Die Evolution bewegt sich durch richtungslose, konvexe Bricolage vorwärts, durch in sich robustes Tüfteln, das heißt durch die Erzielung potentieller zufälliger Gewinne dank ständiger, wiederholter, kleiner, lokal begrenzter Fehler. Mit unserer befehlsgesteuerten Top-down-Wissenschaft sind wir Menschen genau umgekehrt vorgegangen: Unsere Interventionen sind belastet mit negativen Konvexitätseffekten, das heißt, wir haben es

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