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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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(hypothekenbelastetes) Leben in einem Einfamilienhaus in der Vorstadt mit einem knuffigen Hund und Weinproben am Samstagabend. Diejenigen, denen ein gewisser Erfolg beschert ist, steigen in den Rang der jährlichen Milliardärsliste auf, wo sie hoffen können, eine gewisse Zeit bleiben zu dürfen, bevor ihre Kunstdünger-Absatzzahlen durch das Auftreten von Konkurrenten aus China einbrechen. Und eine solche Person wird allgemein als Held bezeichnet, anstatt zu konstatieren, dass er einfach nur Glück gehabt hat. Hinzu kommt: Erfolg ist zufällig, ganz im Gegensatz zu einem bewussten heroischen Akt, der mit Zufall nichts zu tun hat. Und Mitglieder der ach so »moralischen« Mittelklasse können für einen Tabakkonzern tätig sein und sich trotzdem mit Hilfe von Kasuistiken als moralisch bezeichnen.
    Noch mehr wird es mir um die Zukunft der menschlichen Gattung angst, wenn ich in einem Vorort von Washington, D. C., einen Nerd hinter einem Computer sitzen sehe, nur ein paar Schritte entfernt vom nächsten Starbucks-Café oder Einkaufszentrum, der die Macht hat, ein ganzes Bataillon in einer weit entfernten Weltgegend, etwa in Pakistan, in die Luft fliegen zu lassen, und sich danach zum Workout ins Fitnessstudio begibt (man vergleiche ein solches Leben mit den Idealen der Ritter oder Samurai). Durch Technik aufpolierte Feigheit, alles hängt miteinander zusammen: Die Gesellschaft wird von rückgratlosen Politikern fragilisiert, von aalglatten Opportunisten, die nur auf Umfragewerte starren, und von Journalisten, die, um kurzfristig gut dazustehen, irgendwelche Geschichten erfinden, mit denen explosive Defizite erzeugt werden und Agency-Probleme entstehen.
    Zwei Dinge muss ich ausschließen. Tabelle 7 besagt nicht, dass diejenigen, die ihre Seele aufs Spiel setzen, zwingend im Recht sind, oder dass ein Mensch, der für seine Ideen stirbt, automatisch ein Wohltäter der Menschheit ist: Viele messianische Utopisten haben großes Unheil angerichtet. Und es gehört zu einem solchen Leben auch nicht notwendig ein grandioser Tod: Viele Menschen kämpfen gegen das Böse im geduldigen Aushalten alltäglicher Mühsal, ohne wie Helden auszusehen; sie leiden umso mehr unter der Undankbarkeit der Gesellschaft, je stärker medienfreundliche Pseudohelden bejubelt werden. Diesen Menschen wird die Nachwelt keine Kränze flechten.
    Ein halber Mann (oder besser gesagt eine halbe Person) ist nicht ein Mensch ohne eigene Meinung, sondern jemand, der nicht bereit ist, für seine Meinung Risiken auf sich zu nehmen.
    Der große Historiker Paul Veyne hat kürzlich gezeigt, dass es nichts als ein großer Mythos ist, dass die Gladiatoren zu den Kämpfen gezwungen worden seien. Die meisten waren Freiwillige, die die Möglichkeit nutzen wollten, zum Helden zu werden, indem sie ihr Leben riskierten und gewannen; oder, wenn sie unterlagen, im Angesicht der größten Zuschauermenge der Welt in heroischer Pose ihre Fähigkeit vorzuführen, ehrenwert zu sterben, ohne sich wegzuducken – wenn ein Gladiator einen Kampf verlor, entschied die Menge, ob er verschont oder von seinem Gegner getötet werden sollte. An Männern, die nicht freiwillig kämpften, waren die Zuschauer nicht interessiert, sie brachten sich nicht mit Leib und Seele ein.
    Meine wichtigste Lektion auf dem Gebiet Tapferkeit erhielt ich von meinem Vater – als Kind bewunderte ich ihn immer für seine Belesenheit, allerdings war das für sich genommen noch kein großer Ansporn, da man nur mit Belesenheit ja noch kein echter Mann wird. Mein Vater hatte ein ausgeprägtes Ego und strahlte große Würde aus, und er erwartete, respektiert zu werden. Während des Libanonkriegs wurde er eines Tages von einem Milizsoldaten bei einer Straßenkontrolle beleidigt. Er weigerte sich, den Anweisungen zu folgen, und wurde zornig, weil der Soldat sich respektlos verhielt. Als er weiterfuhr, schoss dieser ihn in den Rücken. Die Kugel wurde nicht aus seiner Brust entfernt; auf Flughäfen musste er immer ein Röntgenbild mit sich führen.
    Würde ist nichts wert, wenn man sie sich nicht verdient hat, wenn man nicht bereit ist, dafür zu bezahlen.
    Die antike Kultur vermittelte mir die Vorstellung des megalo-psychon (ein Terminus aus der Ethik des Aristoteles), eine Grundhaltung der Würde und Größe, die von dem christlichen Wert der »Demut« abgelöst wurde. In den romanischen Sprachen gibt es dafür keinen Begriff; im Arabischen bezeichnet man die Haltung als Shhm – am besten übersetzt mit nicht

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