Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
können, was aber nicht mit den Modellen begründbar ist, die dafür als Beweis herangezogen werden. Die Argumentation krankt an folgendem Punkt: Natürlich wäre es für einen Arzt unsinnig, als Teilzeitsekretär zu arbeiten, nur weil er es gut kann. Gleichzeitig aber können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass sein Arztberuf ihm eine gewisse berufliche Stabilität garantiert: Menschen werden immer krank und brauchen einen Arzt, außerdem ist mit dem Beruf des Arztes ein höheres Sozialprestige verbunden als mit dem des Sekretärs, was ihn wünschenswerter erscheinen lässt. Und nun stelle man sich aber vor, dass in einer Welt, die aus zwei Ländern besteht, von denen sich eines auf Wein spezialisiert hat in der Hoffnung, dass es seine Spezialität auf dem Markt an das andere Land verkaufen kann – dass in dieser Welt plötzlich der Preis für Wein ins Bodenlose abstürzt . Irgendeine Veränderung in den Vorlieben der Allgemeinheit führt dazu, dass sich der Preis drastisch verändert. Ricardos Analyse geht davon aus, dass sowohl der Marktpreis für Wein als auch die Produktionskosten konstant bleiben und dass in diesem Zusammenhang keine »zweite Ordnung« existiert.
Tabelle 11 – Ricardos Originalbeispiel (Produktionskosten pro Einheit)
Textilien
Wein
Großbritannien
100
110
Portugal
90
80
Die Logik: Die Tabelle zeigt die Produktionskosten, normalisiert zu einem Verkaufspreis von je einer Einheit. Man nimmt also an, dass sie zum gleichen Preis gehandelt werden (1 Einheit Textilien gegen 1 Einheit Wein). Paradox erscheint Folgendes: Obwohl Portugal Textilien billiger herstellt als Großbritannien, soll es von Großbritannien Textilien beziehen und dafür die Gewinne aus seinem Verkauf von Wein einsetzen. Lässt man Transaktions- und Transportkosten außen vor, ist es für Großbritannien effizient, lediglich Textilien zu produzieren, und für Portugal ist es effizient, lediglich Wein zu produzieren.
Diese Vorstellung hat die Wirtschaftswissenschaftler schon immer aufgrund ihrer paradoxen, kontra-intuitiven Natur fasziniert. So verfasste beispielsweise Paul Krugman einen Artikel mit dem Titel »Why Intellectuals Don’t Understand Comparative Advantage« [Warum Intellektuelle den komparativen Vorteil nicht verstehen] (Krugman, 1998). Krugman selbst versteht die Idee nicht, denn in seinem Essay und seinen sonstigen Schriften erweist er sich als vollkommen ahnungslos hinsichtlich Extremereignissen und Risikomanagement, und er macht sich über andere Intellektuelle wie S. J. Gould lustig, die ein, wenn auch nicht so sehr analytisches, so doch intuitives Verständnis für Extremereignisse haben. (Selbstverständlich kann man nicht über Erträge und Gewinne sprechen, ohne diese Vorteile gegen die Risiken aufzurechnen.) Der Artikel belegt, dass Krugman den gefährlichen Fehler begeht, die Funktion des Durchschnitts mit dem Durchschnitt der Funktion zu verwechseln. (Die traditionelle Ricardianische Analyse geht von abhängigen Variablen aus, doch sie lässt die Bedeutung von Wahrscheinlichkeit völlig außer Acht.
Nehmen wir nun an, der Preis von Wein und Textilien variiere – was Ricardo nicht in Betracht gezogen hat – mit Werten, die oberhalb des erwartungstreuen langfristigen Durchschnittswerts liegen. Nehmen wir weiter an, dass sie einer Fat-Tail-Verteilung folgen. Oder nehmen wir an, die Produktionskosten schwanken entsprechend einer Fat-Tail-Verteilung.
Wenn der Weinpreis auf den internationalen Märkten beispielsweise um 40 Prozent steigt, ergeben sich klar erkennbare Vorteile. Würde der Preis aber um den gleichen Prozentsatz fallen, wären massive Nachteile die Folge, die größer wären als die Vorteile, die sich aus einem Anstieg in entsprechender Höhe ergäben. Es treten Konkavitäten, schwerwiegende Konkavitäten bezüglich der Auswirkungen der Preisänderungen auf.
Und wenn der Preis um 90 Prozent zurückginge, dann wären die Auswirkungen katastrophal. Stellen Sie sich nur einmal vor, was mit Ihrem Privathaushalt geschehen würde, wenn Ihr Einkommen plötzlich um 40 Prozent reduziert wird. Es gab ja in der Geschichte immer wieder Probleme in Ländern, die sich auf bestimmte Waren, Rohstoffe und Agrarprodukte konzentriert haben, die nicht nur volatil, sondern extrem volatil waren. Eine Katastrophe muss nicht unbedingt die Folge einer Preisschwankung sein, sie kann auch durch die Produktionsumstände ausgelöst werden: Plötzlich ist aufgrund eines Krankheitserregers, schlechter
Weitere Kostenlose Bücher