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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Stabilität; den Auswirkungen von Preiskontrollen; den Vorteilen einer bestimmten Größe für ein Unternehmen und vielem mehr. Wir wechseln von einem System, das beständige, kontrollierbare Volatilität erzeugt (Mediokristan) und eher der statistischen »Glockenkurve« entspricht (aus der ungefährlichen, gutartigen Familie der Gauß’schen Normalverteilung), zu einem in hohem Maße unvorhersehbaren System, das sich in Sprüngen, den so genannten Fat Tails, bewegt. Fat Tails – ein Synonym für Extremistan – sind Ereignisse, die sich an den Enden, den so genannten »Tails« der Kurve ereignen und eine unverhältnismäßig große Rolle spielen. Das erste System (erster Graph) ist volatil, es schwankt, sackt aber nicht ab. Das zweite System (zweiter Graph) sackt ab, ohne dass außerhalb der Turbulenzzone nennenswerte Schwankungen auftreten. Auf Dauer ist das zweite System weitaus volatiler – allerdings tritt die Volatilität schubweise auf. Wenn wir das erste System beschränken, wird das sehr wahrscheinlich einen Umschlag in das zweite System zur Folge haben.

    Abbildung 3. Das Rauschen in einem Gemeinwesen, etwa die breit gestreuten Variationen in den Suks (erster Graph), verglichen mit der Variabilität zentralisierter oder von Menschen gemanagter Systeme (zweiter Graph) – oder auch das Einkommen eines Taxifahrers (erster Graph) und das eines Angestellten (zweiter Graph). Der zweite Graph zeigt eine Bewegung, die sich von Kaskade zu Kaskade, von einem Schwarzen Schwan zum nächsten bewegt. Wenn Menschen zu stark eingreifen, um Prozesse einzuebnen oder zu kontrollieren, bewirkt das das Umspringen vom einen System – Mediokristan – auf das andere – Extremistan. Dieser Effekt tritt in allen Systemen gebändigter Volatilität auf – sei es im Gesundheitswesen, in der Politik oder in der Wirtschaft, sogar in der individuellen Befindlichkeit mit oder ohne Prozac. Oder im Unterschied zwischen dem Privatunternehmergeist in Silicon Valley (erster Graph) und dem Bankensystem (zweiter Graph).
    Hinzu kommt, dass die Entwicklung in Extremistan kaum vorhersagbar ist. In der zweiten, pseudo-glatten Art von Zufälligkeit sind Fehler scheinbar selten, aber wenn sie auftreten, sind sie riesig, ja möglicherweise verheerend. Genau genommen hat alles, was Planungsmaßnahmen unterworfen ist, die Tendenz, aufgrund genau dieser Eigenschaften zu scheitern – ich werde dieses Argument im IV . Buch noch genauer erläutern. Dass Planung für Wirtschaftsunternehmen hilfreich sein kann, ist letztlich nichts als ein Mythos: Ich habe ja bereits gezeigt, dass die Welt zu zufällig und unvorhersehbar ist, als dass sich eine Strategie auf der Erkennbarkeit der Zukunft gründen ließe. Das, was überlebt, ist das Ergebnis des Zusammenwirkens einer gewissen Fitness mit bestimmten Umgebungsbedingungen.
    Das große Truthahn-Problem
    Lassen Sie mich nun aus der fachspezifischen Sphäre der Graphen von Fat Tails und Extremistan ins umgangssprachliche Libanesisch zurückkehren. In Extremistan neigt man dazu, sich von Eigenschaften aus der Vergangenheit blenden zu lassen und Geschichte rückwärts zu verstehen. Kurz vor dem Absturz im zweiten Graph von Abbildung 3 liegt es nahe zu glauben, das System sei sicher – vor allem wenn es sich zunehmend vom »beängstigenden« Typ sichtbarer, volatiler Zufälligkeit im linken Bereich zu einem scheinbar sicheren im rechten entwickelt hat. Es mutet an wie ein Rückgang an Volatilität, aber der Eindruck trügt.

    Abbildung 4. Ein Truthahn arbeitet mit »Beweisen«; da er nicht weiß, was es heißt, dass Thanksgiving vor der Tür steht, nimmt er, ausgehend von den Daten der Vergangenheit, »schlüssige« Projektionen in die Zukunft vor. [Abbildung: George Nasr.]
    Ein Truthahn wird tausend Tage lang von einem Metzger gefüttert; jeden Tag verkündet der Truthahn seinem Analystenstab »mit wachsender statistischer Zuversicht«, dass Metzger Truthähnen wohlgesonnen sind. Der Metzger wird den Truthahn weiterfüttern, und zwar bis kurz vor Thanksgiving. Dann kommt der Tag, an dem es gar nicht schön ist, ein Truthahn zu sein. Der Metzger wartet mit seiner Überraschung auf, der Truthahn muss seine Überzeugungen revidieren – und das ausgerechnet im Moment größtmöglicher Sicherheit bezüglich der Aussage, dass der Metzger Truthähne mag, dass im Leben des Truthahns »alles seinen ruhigen Gang geht« und völlig vorhersehbar ist. Dieses Beispiel ist die Adaption einer Metapher von Bertrand Russell.

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