Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Sozialwissenschaften, glatter Oberflächen und egozentrischer Architekten. Gewalt wird von Individuen auf Staaten verlagert. Dasselbe geschieht mit finanzieller Disziplinlosigkeit. Im Zentrum all dieser Merkmale steht die Verleugnung von Antifragilität.
Es gibt eine Abhängigkeit von Erzählmustern und eine Intellektualisierung von Aktionen und Projekten. Staatsbetriebe und Funktionäre und selbst Angestellte von großen Unternehmen können nur Dinge anpacken, die in eine Erzählung passen, im Unterschied zu Unternehmern, die sich einfach an den Profiten orientieren, sei es mit oder ohne eine gut klingende Geschichte. Man braucht einen Namen für die Farbe Blau, wenn man eine Geschichte erzählen will; wenn man handelt, ist der Name überflüssig – eingeschränkt ist der Denker, dem das Wort für »Blau« fehlt, nicht aber der Macher. (Ich hatte einige Mühe, Intellektuellen die intellektuelle Überlegenheit der Praxis beizubringen.)
In der Moderne wurde die Kluft zwischen dem Sensationellen und dem Relevanten immer größer – in einer natürlichen Umgebung ist das Sensationelle aus triftigen Gründen sensationell; heutzutage sind wir für derartige essentiell uns Menschen betreffende Dinge wie Klatsch und Anekdoten von Zeitungen abhängig, und wir interessieren uns für die Privatsphäre von Menschen, die weit von uns entfernt leben.
In der Vergangenheit waren wir uns der Existenz von Antifragilität, Selbstorganisation und Selbstheilungskräften nicht bewusst, aber trotzdem respektierten wir diese Phänomene, indem wir Religionen konstruierten, die den Zweck hatten, mit Unsicherheit umgehen und sie überleben zu können. Wir gaben die Verantwortung für Verbesserungen an Gott oder die Götter ab. Möglicherweise glaubten wir schon damals nicht daran, dass die Dinge sich von allein regeln, ohne dass jemand eingreift. Aber damals waren es die Götter, die eingriffen, und keine Schiffskapitäne mit Harvard-Studium.
Die Ausbildung des Nationalstaats fällt also direkt mit dieser Entwicklung – der Übertragung der Handlungsgewalt an endliche Menschen – zusammen. Die Geschichte des Nationalstaats ist zugleich die Geschichte der Konzentration und Vervielfältigung menschlicher Irrtümer. Die Moderne beginnt mit dem Monopol des Staats auf Gewalt, und sie endet mit dem Monopol des Staats auf steuerliche Verantwortungslosigkeit.
Ich komme im Folgenden auf zwei zentrale Elemente der Moderne zu sprechen. Primo , im siebten Kapitel, auf naiven Interventionismus: den Preis, der dafür zu entrichten ist, dass Dinge repariert werden, die man besser in Ruhe lassen sollte. Secundo , im achten Kapitel und als Überleitung zu Buch III , dass die Vorstellung von einem oder mehreren Göttern, die die Zukunft bestimmen, durch eine religiös weitaus fundamentalistischere Vorstellung ersetzt wurde: den bedingungslosen Glauben an die Idee wissenschaftlicher Vorhersagbarkeit, ganz gleich, um welchen Kontext es sich handelt; und das Ziel, die Zukunft in numerische Reduktionismen zu pressen, seien diese nun verlässlich oder nicht. Denn wir haben es geschafft, religiösen Glauben in Leichtgläubigkeit gegenüber all dem zu übertragen, was sich als Wissenschaft verkleiden kann.
28 Der Finanzspezialist George Cooper hat Maxwells Argument in seinem Auf satz The Origin of Financial Crises (Der Ursprung finanzieller Krisen) aufge griffen und neu formuliert – Maxwells Argument ist derart hellsichtig und immer noch so aktuell, dass Peter Nielsen, ein alter Trader-Freund, den Text an alle seine Bekannten verteilt hat.
29 Bezeichnend ist die Doppelmoral westlicher Regierungen: Ich als Christ darf bestimmte Teile von Saudi-Arabien nicht betreten, da ich die Reinheit des Ortes verletzen würde. Für saudische Bürger gibt es in den USA oder in Westeuropa kein vergleichbares Tabu.
Kapitel 7
Naives Intervenieren
Eine Mandeloperation zum Zeitvertreib – Was du morgen kannst besorgen, das lass heute lieber liegen – Vorhersage von Revolutionen nach ihrem Eintreten – Lektionen in Blackjack
Dieser Drang, »etwas zu tun«, lässt sich mit einem vielsagenden Beispiel belegen. In den 1930er Jahren wurden 389 Kinder New Yorker Ärzten vorgestellt; bei 174 wurde die Empfehlung ausgesprochen, die Mandeln zu entfernen. Die restlichen 215 Kinder wurden erneut Ärzten vorgestellt, 99 erhielten die Empfehlung einer Mandeloperation. Als die verbleibenden 116 Kinder einem dritten Team von Ärzten vorgestellt wurden, erhielten 52 die besagte
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