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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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zu drücken, ihn noch einmal herzlich zu umarmen und ihm das Versprechen abzunehmen, am Mittwoch zum Spezialmenü da zu sein.
    Nero musste sich also, wenn er sich in New York aufhielt, keine Sorgen wegen des Mittagessens machen, mit Tony konnte er immer rechnen. Er traf ihn üblicherweise im Fitnesscenter, wo sich unser horizontaler Held seinem Triathlon (Sauna, Jacuzzi und Dampfbad) unterzog, und von dort brachen sie auf, um die Verehrung von Restaurantbesitzern entgegenzunehmen. Tony erklärte Nero irgendwann, an den Abenden habe er keine Verwendung für ihn – da würde er bessere, witzigere, italienischere Freunde aus New Jersey treffen, die ihn, im Unterschied zu Nero, auf »nützliche« Ideen brachten.
    Die Antifragilität von Bibliotheken
    Nero führte ein Leben gemischter (vorübergehender) Formen des Asketentums. Er ging möglichst um neun ins Bett, im Winter manchmal sogar noch früher. Partys verließ er, wenn der Alkoholkonsum bei den Leuten so weit fortgeschritten war, dass sie anfingen, Fremden ihre Lebensgeschichte zu erzählen oder – schlimmer noch – metaphysisch zu werden. Nero ging seinen Tätigkeiten am liebsten bei Tageslicht nach, er wachte gern früh am Morgen auf, wenn die Sonne sanft in sein Schlafzimmer schien und Streifen an die Wände zeichnete.
    Seine Zeit verbrachte er damit, bei Internetbuchhändlern Bücher zu bestellen, die er dann sehr oft auch las. Er hatte – ähnlich wie Sindbad der Seefahrer oder Marco Polo, der venezianische Reisende – turbulente, äußerst turbulente Abenteuer hinter sich und war nun entschlossen, ein stilles, beschauliches, post-turbulentes Leben zu führen.
    Nero war Opfer einer ästhetischen Indisposition, die sich als Abscheu, ja Phobie gegenüber den folgenden Phänomenen äußerte: Menschen in Flip-Flops, Fernsehen, Bankern, Politikern (der Rechten, der Linken, der Mitte), New Jersey, reichen Menschen aus New Jersey (wie Fat Tony), reichen Menschen, die Kreuzfahrten unternehmen (und in Venedig Station machen und Flip-Flops tragen), Universitätsverwaltern, grammatikalischen Erbsenzählern, Name-Droppern, Aufzugmusik und gepflegt gekleideten Händlern und Geschäftsleuten. Fat Tony hatte andere Allergien: den leeren Anzug – eine Person, die sämtliche überflüssigen und administrativen Details einer Sache beherrscht, aber das Wesentliche übersieht (und sich dessen nicht einmal bewusst ist). Eine Konversation mit Menschen dieses Schlags ist also lediglich Reden um den heißen Brei herum, ohne dass man je auf das Eigentliche zu sprechen käme.
    Und Fat Tony konnte Fragilität wittern. Buchstäblich. Er behauptete, eine Person aufgrund der Art und Weise, wie sie ein Restaurant betritt, auf Anhieb durchschauen zu können – was in den meisten Fällen auch zutraf. Nero hatte aber außerdem festgestellt, dass Fat Tony, wenn er das erste Mal mit jemandem sprach, sehr nah an ihn herantrat und ihn beschnüffelte, genau wie ein Hund – eine Gewohnheit, derer sich Fat Tony selbst gar nicht bewusst war.
    Nero gehörte zu einer Gesellschaft von sechzig ehrenamtlichen Übersetzern, die für den französischen Verlag Les Belles Lettres an der Übersetzung bislang unpublizierter antiker Texte in griechischer, lateinischer oder aramäischer (syrischer) Sprache arbeiteten. Die Gruppe ist nach freilassenden Richtlinien strukturiert, eine ihrer Regeln besagt, dass akademische Titel und akademisches Ansehen keinen automatischen Vorrang in den Debatten bedeuten. Eine weitere Regel ist die Pflicht, an zwei »ehrwürdigen« Gedenkfeiern in Paris teilzunehmen: am 7. November zum Todestag Platons, am 7. April zum Geburtstag Apollos. Außerdem ist Nero Mitglied in einem örtlichen Gewichtheberverein, der sich samstags in einer umgebauten Garage trifft. Der Club setzt sich überwiegend aus New Yorker Portiers, Hausmeistern und finster aussehenden Gangstertypen zusammen, die im Sommer in ärmellosen Wife-Beater-Shirts aufzutreten pflegen.
    Fatalerweise werden Menschen, die einem der Muße geweihten Lebensstil frönen, zu Sklaven von Unzufriedenheitsgefühlen und von Interessen, über die sie nur wenig Kontrolle haben. Je mehr Freizeit Nero hatte, desto mehr fühlte er sich gedrängt, verlorene Zeit dadurch aufzuwiegen, dass er die Lücken in seinen natürlichen Interessen auffüllte, Dinge, die er tiefer ergründen wollte. Dabei entdeckte er: Das Schlimmste, was man tun kann, um das Gefühl zu bekommen, man habe eine Sache tiefer ergründet, ist zu versuchen, sie tiefer

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