Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
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Vorerst möchten wir die Welt nicht verändern (das überlassen wir den Sowjet-Harvard-Utopisten und anderen Fragilisten); zunächst geht es darum, die Verhältnisse robuster gegen Störungen und Prognose-Irrtümer zu machen oder diese Irrtümer sogar auszunutzen, also aus Zitronen Limonade herzustellen.
Stichwort Limonade: Es hat ganz den Anschein, als herrsche in der Geschichte das Prinzip vor, sie aus Zitronen zu gewinnen; Antifragilität hängt eng mit der Art und Weise zusammen, wie sich die Verhältnisse unter dem Einfluss der Zeit, der Mutter aller Stressoren, vorwärtsentwickeln.
Des Weiteren sollten wir nach dem Eintreten eines Ereignisses (einem Tsunami, dem arabisch-semitischen Frühling oder vergleichbaren Aufständen; einem Erdbeben, einem Krieg oder einer Finanzkrise) nicht mehr die Schuld bei denen suchen, die unfähig waren, es vorherzusehen, sondern vielmehr darin, dass seine (Anti-)Fragilität nicht verstanden wurde, dass man vor allem die Frage nicht gestellt hat: »Wie konnten wir nur etwas bauen, das hinsichtlich solcher Ereignisse derart fragil ist?« Es ist entschuldbar, dass ein Tsunami oder ein gravierendes Ereignis im Wirtschaftsleben nicht vorhergesagt wird; nicht entschuldbar aber ist, etwas zu bauen, das solchen Zwischenfällen gegenüber fragil ist.
Und was eine bestimmte naive Form von Utopie, von Blindheit gegenüber der Geschichte angeht, so können wir es uns nicht leisten, auf die vernunftgeleitete Eliminierung von Habgier und anderen menschlichen Schwächen zu setzen, die die Gesellschaft fragilisieren. Obwohl die Menschheit dies seit Tausenden von Jahren versucht, bleiben sich die Menschen in dieser Hinsicht (schlechte Zähne hin oder her) gleich. Das Letzte, was wir brauchen, sind also noch mehr von diesen gefährlichen Moralisierern (denjenigen, die aussehen, als litten sie unter einer chronischen Magendarmstörung). Intelligenter (und praktikabler) ist es, die Verhältnisse so zu gestalten, dass ihnen Habgier nichts anhaben kann, oder vielleicht sogar die Gesellschaft so umzuformen, dass sie von Habgier und anderen menschlichen Unvollkommenheiten profitieren kann.
Trotz ihrer schlechten Presse scheint manch einer in der Atomwirtschaft das verstanden und zu Ende gedacht zu haben. Anstatt ein Scheitern und die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe zu prognostizieren, haben sie nach der Katastrophe von Fukushima gemerkt, dass man das Ausmaß der Gefährdung durch eine Katastrophe in den Blick nehmen muss, wodurch die Vorhersage oder Nichtvorhersage einer Katastrophe letztlich irrelevant wird. Das hat die Errichtung von Reaktoren zur Folge, die eine gewisse Größe nicht überschreiten, tief genug in der Erde verankert und mit massiven Schutzschichten umgeben sind, sodass eine Störung, wenn sie denn eintritt, keine allzu großen Auswirkungen auf uns hat – eine aufwendige Lösung, aber immer noch besser als keine.
Ein weiteres Beispiel, in diesem Fall aus dem Bereich der Wirtschaft, liefert die schwedische Regierung, die nach ihren Finanzproblemen im Jahr 1991 auf totale steuerliche Haftung setzte – wodurch sie von wirtschaftlichen Prognosen weitgehend unabhängig wurde. So konnte das Land die Krisen, die später kamen, gelassen handhaben. 34
Von der Idee, ein Nicht-Truthahn zu werden
Für jeden, der nicht gar zu viel getrunken hat, ist klar ersichtlich, dass wir in der Lage sind, einen Menschen, eine Familie oder ein Dorf mit einem winzigen Rathaus auf den Mond zu versetzen und die Laufbahn von Planeten oder die winzigsten Vorgänge der Quantenphysik vorherzusagen; Regierungsinstitutionen mit gleichermaßen ausgeklügelten Modellen hingegen können keine Revolutionen, Krisen, Haushaltsdefizite oder Klimawechsel voraussagen. Das fängt schon bei den Werten an, mit denen der Aktienmarkt in ein paar Stunden schließen wird.
Wir haben es also mit zwei unterschiedlichen Bereichen zu tun, dem einen, in dem wir (bis zu einem gewissen Grad) Vorhersagen treffen können, und einem anderen – dem Bereich des Schwarzen Schwans –, in dem wir nur Truthähne und Truthahn-ähnliche Menschen agieren lassen sollten. Dabei ist die Trennungslinie (für Nicht-Truthähne) so sichtbar wie jene zwischen der Katze und der Waschmaschine.
Das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben liegt im Bereich des Schwarzen Schwans, die physikalische Realität hingegen sehr viel weniger. Außerdem muss man eine Unterscheidung treffen zwischen Bereichen, in denen diese Schwarzen
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