Antiheld (German Edition)
Realität wurde die Erkenntnis gewonnen, dass Vorstellungen, die von den herrschenden Vorstellungen abweichen, ebenso schützenswürdig wie die herrschenden Vorstellungen selbst sind oder wenigstens sein sollten .
Diese Erkenntnis ist die eigentliche Ursache für das, was wir heute als Meinungsfreiheit bezeichnen, und vielen ist dieser Zusammenhang, diese Kausalität nicht bewusst, da sie oder ihre Vorstellungswelt niemals in so weit von der herrschenden abweichen wird, dass sie oder ihre Vorstellungen des Schutzes bedürftig werden. Ihnen bleibt die Tatsache dieser Freiheit an sich also verborgen, da sie, bekräftigt durch die scheinbar mühelose Ubiquität in und durch welche diese Freiheit existiert, schon immer und schon immer für sie selbst da gewesen zu sein scheint.
Die Wahrheit ist jedoch’, sagte er in einem süffisanten Ton und zwinkerte mir zu, ‚dass sie, die Masse , dieses Recht und diese Freiheit meistens nicht beanspruchen, beanspruchen müssen , eben weil ihre Vorstellungswelt die herrschende Vorstellungswelt nicht ausschließt, sondern ganz im Gegenteil , weil sie mit dieser deckungsgleich ist. Und wenn diese freie Meinungsäußerung, die ja, wie wir eben festgestellt haben, gleichbedeutend mit dem höchsten Gut einer Demokratie und sogar für diese konstituierend ist, durch ein einschränkendes Gesetz verweigert wird, dann sollte auch der kleinste und geringste Geist vielleicht damit beginnen, eine politische Manipulation zu wittern.
Wohlgemerkt, es handelt sich hier ausschließlich um einen ganz bestimmten Geschichtsabschnitt, einen für die allermeisten Zeitgenossen sehr sensiblen Abschnitt, zu dem man stets eine gehörige Distanz wahren sollte. Schon der reine Sprechakt, das Reden über dieses in den Augen der allermeisten singuläre Ereignis , stellt ein regelrechtes Tabu dar. Niemand möchte diese Fragen beantwortet wissen, doch warum ist das so? Wer profitiert von der Unwahrheit? Wem nutzt diese Verschleierung von Tatsachen?’»
Ich mache die letzte Pause. Alle Anwesenden sind in einer Art Dämmerzustand. In der ursprünglichen Version, der Version, die Hillemann zu lesen bekommen und für sehr gut befunden hatte, geht es in den nächsten Abschnitten um das Tabu des Älterwerdens, mit all seinen kleinen Geschmacklosigkeiten und Demütigungen.
Der Leser erfährt, wie mit alten Menschen umgegangen wird, nämlich völlig gleichgültig, und dann löst sich alles in einer breitbandigen Gesellschaftskritik auf, eine Kritik, die niemand jemals zu hören bekommen wird.
«‚Sehen Sie, mir geht es dabei ausschließlich um eine gewisse Form der Wahrheitsfindung. Die demokratische Freiheit erlaubt das Bezweifeln fast jedes Geschichtsereignisses: Sie können die Versklavung der Neger in Frage stellen, die Ausrottung der Mayas, Inkas und Azteken oder der australischen Ureinwohner, die Massaker von Stalin oder Pol Pot leugnen oder die Vertreibung der Deutschen. Einzeln oder alles gleichzeitig. Niemandem würde es einfallen, Sie anzuklagen, ganz im Gegenteil. Die westlichen Demokratien verbieten nur das eine, nämlich die Leugnung des Holocaust, also die angeblich industrialisierte, massenweise Vernichtung der Juden, die in Wahrheit nie stattgefunden hat.’»
«Der totale Faschistenkram!», schreit Bibby, die Antifa-Fotze, mit hochrotem Kopf dazwischen und auch Hillemann nimmt Position ein.
Ich kann zusehen, wie dem Schwachkopf das Blut in den Kopf schießt, und denke, wie einfach es doch immer wieder ist, Menschen zu provozieren, wie einfach es ist, sie zu Weißglut und Raserei zu treiben. Man braucht nur einige Wörter der verbotenen Liste zu nehmen und sie aussprechen, laut aussprechen, und dann kann man anhand ihrer Reaktionen nur noch Vermutungen darüber anstellen, wie giftig und wie verboten diese Wörter tatsächlich in ihren Ohren klingen müssen, wie sehr sie doch in ihnen, an ihnen rühren. Bei einigen nimmt die Wirkung regelrecht körperliche Dimensionen an. Einige Wörter gehen so tief, nagen so sehr an Verborgenem, Verdrängtem, dass sie ihnen Unwohlsein, Übelkeit und Brechreiz verursachen.
Ich stelle mir vor, wie ich auf einem überfüllten Marktplatz stehe und zuerst Jude! schreie, dann zwei, drei Sekunden verstreichen lasse, in entsetzte Gesichter blicke, schließlich Gas! schreie, und sofort beginnen alle zu kotzen, sich anzukotzen und sich gegenseitig zu bekotzen. Immer wieder und immer weiter schreie ich abwechselnd Gas und Jude , Jude und Gas , und sie kotzen immer weiter,
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