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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stiff Chainey
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nichts dringender benötigte als eine Person, die ihn auf seinem letzten Weg begleitete.»
    Natürlich! Die Wahrheit ist eine völlig andere. Mein Opa war ein seniler und kaum zu ertragender Drecksack, der seine Kriegsgeschichten immer wieder aufs Neue und neu erzählen musste, völlig egal, ob man sie hören wollte oder nicht. Und sicher, man kann auch dafür Verständnis entwickeln, von wegen Demenzerkrankung und was für ein armes Schwein er doch im Grunde war, man kann sich aber auch einfach seinen schnellen Tod wünschen.
    Da sollte man, meiner Meinung nach, viel leidenschaftsloser sein. Die ganzen alten Säcke, die da mit und auf ihren Erinnerungen rumhocken, warten doch im Prinzip alle mehr oder weniger auf den Tod, denn was soll schließlich noch kommen, was soll noch passieren in ihrem Lebensrest ? Einige Geschäftemacher verdienen gut an ihnen, und das ist auch das Einzige, wozu sie noch taugen. Das ist eine ganz simple Rechnung.
    Kaum kriegen sie den Suppenlöffel nicht mehr selber ins Maul, werden sie gepflegt , bis man sie unter der Erde verscharrt. Ja, so ist das, wir kennen das doch alle, die ganzen so oft bemühten Klischees von wegen Seniorenheim und Pflegedienst, alles unerträglich und ohne Würde, gelangweiltes Personal, das einem nur recht dürftig die Scheiße aus dem Intimbereich wegputzt und das Fressen mit versteinerter Miene in den Schlund stopft.
    Da wünsche ich den alten Säcken viel eher den Gnadenschuss, sauber und diskret durch ein mit Daunenfedern gefülltes Kissen. Da spritzt das Gehirn nicht so sehr und die Pflegerin bleibt beim Reinigen auch in ihrem Zeitlimit.
    Ich räuspere mich und lese weiter. «Am nächsten Tag lagen drei Briefe im Briefkasten. Ich war erleichtert und machte mich sofort auf den Weg in die dritte Etage. Nachdem ich geklingelt hatte, dauert es eine ganze Weile, bis die Tür ein Stück weit geöffnet wurde, und ich dachte, dass er bestimmt die meiste Zeit allein vor seinem Fernseher und allein mit den abgeschmackten Sendungen des Nachmittagsprogramms verbringt.
    Das Gesicht des alten Mannes tauchte im Türspalt auf. Er inspizierte mich aus tief liegenden Augen, und sofort bemerkte ich den typischen Geruch von Wohnungen, in denen alte Menschen leben. Dieser eigenartige Geruch nach Pfefferminzbonbons, die man in Zeitungspapier eingewickelt sehr lange in einer Schublade vergessen hat.
    Ich bringe nur ihre Post, antwortete ich freundlich und reichte ihm die Briefe durch den Spalt. Erst jetzt öffnete er die Tür etwas weiter. Ich konnte erkennen, dass er in einem Rollstuhl saß. Er riss mir die Briefe aus der Hand und warf die Tür ins Schloss. Wahrscheinlich war er verängstigt, schließlich war ich ein Fremder. Eigentlich war ich nur froh, dass es ihm gutzugehen schien.»
    Applaus für den Retter, eine La-Ola-Welle für den Heiland, der den alten Sack davor bewahrt hat, während des Hartz-IV-TVs zu verwesen, einsam und unwürdig zu verwesen , während praktisch behinderte Menschen dazu animiert werden, live und vor Publikum über ihre Beziehung mit vier unehelichen Kindern und der nebenbei laufenden Affäre mit dem Schäferhund des Nachbarn zu sprechen.
    Ich mache eine kurze Pause, und ja , alle wollen wissen, wie es weitergeht, was mit dem alten Mann ist und wird , ob es verwirrende Szenen gibt, in denen ich auf mitleiderregendste Weise beschreibe, wie ich dem Knacker den Arsch abwischen und seine vollgepisste Windel wechseln muss. Ich sehe in ihre Gesichter und erkenne, dass sie genau das erwarten. Ich weiß, dass ihre Erwartungen allesamt aus der Senkgrube der Kleinbürgerlichkeit stammen.
    «Am zweiten Tag klingelte der Paketzusteller bei mir. Ich unterschrieb für ein großes, röhrenförmiges Paket, das ich umgehend in den dritten Stock schleppte. Ich klingelte und der Vorgang von gestern wiederholte sich auf die exakt gleiche Weise.
    Der alte Herr riss die Tür auf, knurrte ‚Stell es hier ab!’ und sah mich abwartend an.
    ‚Soll ich es ihnen nicht vielleicht in die Wohnung bringen?’, fragte ich, aber er zischte nur ‚Nein, danke!’ und warf die Tür ins Schloss.
    Ich erinnerte mich an die Worte seiner Tochter. Sie schien wirklich recht zu haben. Ihr Vater war tatsächlich etwas wunderlich. Es folgte ein Tag ganz ohne Post, doch dann klingelte nachmittags der Paketdienst und lieferte wieder ein röhrenförmiges Paket. Zu meinem großen Erstaunen saß er nicht mehr im Rollstuhl, sondern stützte sich auf einen Krückstock, als er mir die Tür öffnete.

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