Antiheld - Thriller (German Edition)
trottete. Der Anblick versetzte ihm so viele Stiche in die Brust, dass er kaum zu Atem kam.
Christian richtete seine Augen auf das Radio, aus welchem gerade die aktuellen Nachrichten aus der Welt verlesen wurden. Er stellte die Lautstärke höher, um das Gebrüll der Kinder zu übertö nen. Gemächlich drang die Stimme der Sprecherin an sein Ohr.
» … noch keine Entscheidung getroffen. Gestern Nacht, gegen zwei Uhr morgens fanden Passanten die Leiche einer jungen Frau, welche inzwischen, als die vermisst gemeldete Cindy M. identifi ziert werden konnte. Die 17-Jährige war auf dem Weg von der Schule nicht zu Hause angekommen. Allen Anzeichen zufolge ... «
*
» … wurde auch sie das Opfer des momentan gesuchten Serien mörders, der bei den Medien und der Polizei bloß als der Nebel fänger bekannt ist. Die Polizei sagt aus ... «
»Kindchen!«
Die alte Dame deutete mit ihrem Zeigefinger, an dem das
Pulsoximeter klemmte, in Richtung Radio, das auf der Fenster bank stand.
»Kindchen!?«
Erschrocken vernahm Claire, dass sie gemeint war. Sie teilte ge rade das Essen für die Patienten aus.
»Ja, Misses Foster?« Sie ging auf deren Bett zu, wobei Claires Augen ihrem Finger folgten.
»Wären Sie so nett, könnten Sie das Radio etwas lauter stellen?«
»Gewiss doch!«
Bereits den ganzen Tag überhörte sie die Rufe der Insassen. Allmählich musste sie anfangen, sich zu konzentrieren.
»Eine Schande«, kommentierte Misses Foster den Beitrag über das tote Mädchen. »Die armen Frauen.«
Dem konnte Claire nur zustimmen. Sie ließ den Wagen einen Moment lang stehen, um auch der Stimme der Sprecherin zu fol gen.
» Damit ist dies bereits das zehnte Opfer des Nebelfängers. Wie der einmal konnten keine Spuren oder andere aufklärende Indizi en gefunden werden. Sollten Sie Hinweise zur Überführung des Täters geben können, werden Sie gebeten ... «
»Weshalb nennen sie ihn eigentlich den Nebelfänger ?«
Claires Frage brachte Misses Foster für einen Moment zum Nachdenken. »Ich entsinne mich, dass man ihn deswegen so nennt, da er stets dann auftaucht, wenn Nebel auf den Straßen herrscht.«
»Seltsam.«
»Allerdings.« Die ältere Dame zupfte ihren Kittel zurecht, als ob sie noch Besuch erwartete. Dabei ließ sich seit ihres Aufenthalts niemand blicken. Ein trauriges Dasein.
Claire lächelte.
Einmal mehr, erkannte sie, was sie wirklich an Jack hatte.
8
»Bitte, Mister Johnson!«
Andrew heftete fein säuberlich einzelne Hausaufgabenblätter in seinen Ordner ein. Auch heute lag die Motivation der Schüler bei unter null.
»Carmen.« Seufzend ließ Andrew von seiner eigentlichen Tätig keit ab, nahm seine Brille von der Nase und knetete deren Wur zel. »Zum letzten mal, das ist verboten!«
Carmen Morelli stand mit Andrew allein in dem Klassenzimmer, welchem man die Strapazen des Schulalltags ansah. Überall lag Papier auf dem Boden, klebte Kaugummi auf den Bänken oder wies anderweitige Demolierungen auf.
»Sie sind meine letzte Hoffnung. All die anderen Lehrer haben mich bereits abgewiesen. Doch ohne fremde Hilfe bin ich verlo ren.«
Er erkannte durchaus Carmens Leid. Bereits am gestrigen Tag, als er sie in seinen Armen hielt, sah er, wie schlecht es dem Mädchen ging. Die ganze Unterrichtsstunde über standen sie auf dem Flur. Andrew hörte zu, während Carmen ihm ihr Leid ausschüttete. Angefangen von ihren schulischen Problemen bis hin zu dem gewalttätigen Vater. Selbst Chad Kingsley blieb nicht verschont.
»Sehen Sie mich an!«, forderte Carmen aufgebracht. »Ich bin eine mexikanische Einwanderergöre, die froh sein kann, wenn sie ihren Namen fehlerlos zu Papier bringt. Ich habe auf dem Arbeits markt keine Chance. Ich kann von Glück reden, wenn es über haupt zur Bedienung in einem Imbiss reicht.«
Diesmal vermied Andrew jeglichen Augenkontakt zu seiner Schülerin, aus Angst, es könnten wiederholt Gefühle entstehen, die ihm untersagt waren.
»Ich kann Ihnen keine Nachhilfe geben.« Er versuchte bestim mend zu wirken, doch klang er eher erschöpft.
»Es muss doch niemand erfahren.«
Heute fehlte der Gloss auf ihren Lippen. Das erste, was ihm auf Anhieb an ihr aufgefallen war.
»Dann kann ich Ihnen höchstens Nachhilfestunden im Schulge bäude, nach dem Unterricht, geben.« Dieser Vorschlag fruchtete auch eher mäßig.
»Es wäre mir ganz lieb, wenn niemand erfahren würde, dass ich bei Ihnen Nachhilfestunden nehme.« Die dunklen Rehaugen starrten ihn
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