Anton Pfeiffer und der Zauberkongress (German Edition)
die Hand vor den Mund und gähnte demonstrativ. „En t schuldige mich, Mama, ich muss ins Bett. Wir sehen uns zum Frühstück. Es war ein langer Tag.“
DONNERSTAG
Das Hexeneinmaleins
Anton legte den Füllfederhalter beiseite. Er überflog den letzten Satz, setzte einen Punkt dahinter und schrieb seinen Namen an den oberen Rand des Blattes.
„Weihnachten mit der Familie“, das Aufsatzthema der heutigen Deutschstunde. Keine besonders schwierige Übung. Er hatte einfach das letzte Weihnachtsfest bei Onkel Erwin und Tante Rita beschrieben. Inklusive einer lustigen Anekdote rund um Onkel Erwins Weihnacht s gans, die korrekterweise schon ein paar Jahre zurück lag. Aber das wusste ja keiner. Das Weihnachtsgeschenk von Opa Hubertus, den Flotten Feger, hatte er selbstverstän d lich nicht erwähnt.
Die anderen Schüler brüteten noch über ihren Aufsä t zen, und Anton schaute neben sich aus dem Fenster.
Wie gestern segelten vereinzelte Schneeflocken vom Himmel. Sanft wie Federn verteilten sie sich über dem Boden des leeren Schulhofs und bildeten lustige Zucke r häubchen auf Büschen und Bäumen. Es sah aus wie im Bilderbuch.
Anton ließ seinen Blick durch das Klassenzimmer schweifen. Wie jedes Jahr stand ein kleiner Adventskranz auf dem Lehrerpult, die Luft roch nach Mandarinensch a len, und auf dem Fußboden trockneten die Spuren durc h nässter Winterschuhe. Alles sah aus wie immer.
Und doch war alles anders. Kopfschüttelnd blickte er aus dem Fenster. Hätte ihm jemand vor einer Woche seine Erlebnisse der letzten drei Tage prophezeit, er hätte das Ganze für eine große Spinnerei gehalten. Für eine G e schichte. Eine gute, keine Frage. Aber für eine Geschichte eben. Und nun war die Geschichte Wirklichkeit. Es gab sie tatsächlich, eine magische Welt. Zauberer und Hexen, eine verzauberte Eiche direkt hinter dem Schulhof. Und ein Stück weiter sogar einen magischen Wald. Wahrscheinlich hatte außer ihm noch kein Mensch diesen Wald betreten. Warum auch. Wer würde freiwillig auf die Idee kommen, unter der verrotteten Bank des alten Trimm-Dich-Pfads durch zu kriechen?
Anton dachte nach, und plötzlich überkam ihn ein G e fühl von Stolz. Nur er, Anton Pfeiffer, wusste über alles Bescheid. Was für ein Privileg! Er hatte ein Geheimnis, das nur ihm gehörte. Es war fantastisch.
Er blickte durch die Klasse. Eine Reihe weiter vorne saß Yvonne. Mit konzentrierter Miene schrieb sie an ihrem Aufsatz. Zwischendurch schaute sie hoch. Und lächelte versonnen.
Ob auch sie ein Geheimnis mit sich herum trug? Es sah fast so aus. Vielleicht kannte auch sie eine andere Welt. Aber die war natürlich nicht real. Oder doch? Warum sol l te sie weniger real sein als seine?
Verwirrt ließ Anton den Gedanken wieder fallen und dachte an seinen gestrigen Flug über den Dächern der Stadt. Dann sah er das Gesicht seiner Mutter vor sich, wie sie verständnislos auf den Flotten Feger deutete. Hätte er ihr alles erzählen sollen? Sie hatte es verdient, etwas Wu n derbares zu erleben. Fernab von gestapelten Kartons und Scangeräten. Fernab von der Langeweile des Supermarktes und den einsamen Abenden vorm Fernseher zu Hause.
Er würde ihr alles erzählen. Aber nicht sofort. Erst musste er herausfinden, was es mit den Geschenken von Opa Hubertus auf sich hatte.
Opa Hubertus war schon immer ein großer Liebhaber von Trödelmärkten gewesen. Überall auf der Welt, wohin ihn seine vielen Reisen trugen, hatte er Zeit gefunden, sie zu besuchen. Nicht selten hatte er etwas mit nach Hause gebracht. Uralte Möbel, antikes Spielzeug. Sein Haus quoll geradezu über davon. „Trödelmärkte, mein Junge, sind wie das Leben“, hatte er oft zu Anton gesagt. „Das reinste Kuriositäten-Kabinett.“
Aber wie war Opa Hubertus mit den Zauberutensilien in Kontakt gekommen? War es ein Zufall, oder wusste er sogar mehr über diese magische Welt als Anton selbst? Wer weiß, vielleicht war er als Pensionär in den illegalen Handel mit magischen Utensilien eingestiegen. Zum Glück waren es nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Dann würde sich alles klären.
Die nachfolgenden Unterrichtsstunden vergingen wie im Fluge. Eine Stunde Kunst und zwei Stunden Sport standen noch auf dem Programm. Im Kunstunterricht ließ Frau Vogel einen uralten Schwarz-Weiß-Film vorspielen. Eine Gruppe eifriger Wissenschaftler flog darin zum Mond, mit Hilfe einer selbst gebauten Kanone. Lautes Gelächter erfüllte das Klassenzimmer, als die Kanone im
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